geht die Sonne auf? Wir gehen nach dem
vermeidlich „friedlich“ abgelaufen Spiel in Rostock wieder zur Normalität über
(hoffentlich nicht, denn die Vorfälle innerhalb unserer eigenen Fanszene
bedürfen einer Aufarbeitung). Leider sieht für andere Vereine die Normalität so
aus, wie wir sie nur zweimal pro Jahr erleben dürfen. Wir reden von der
Bezirksklasse Leipzig und dem Verein Roter Stern aus dem Stadtteil Connewitz,
der seit 1999 Teil einer linksalternativen Szene ist. Und eben als solcher sind
Spieler und Anhänger des RSL permanent Anfeindungen aus der rechten Szene
ausgesetzt. Und diese werden in den letzten Jahren immer schlimmer.
Beleidigungen („Dreckszecken, Zigeunerpack“) gehörten fast schon zur
Normalität; der farbige Torhüter der D-Jugend Mannschaft wurde 2008 mit den
Worten „Neger“ und „Behinderter“ beschimpft, die Mitspieler mit Dreck beworfen
(Spieler des TSV Einheit Lindenthal, also 11-12 Jahre alt!!!). Eine
Aufarbeitung dieser Ereignisse hat der TSV Einheit bisher verweigert, man solle
doch das Geschehen „auf sich beruhen lassen“. Dummejungenstreiche, oder was?
Nach dem Aufstieg 2009 der 1. Mannschaft in die Bezirksklasse nehmen die
Anfeindungen immer mehr zu. Zum Spiel beim FSV Oschatz waren etwa zehn örtliche
Neonazis angetreten, provozierten durch Zeigen des Hitlergrußes, es kam zu
Rangeleien, das Spiel musste unterbrochen werden. Die Störer, ausgerüstet mit
Shirts mit der Aufschrift „Hatecore – good Night – left Side“, durften sich,
ungestört von den Ordnern, auch vor dem Kabinentrakt tummeln und die Spieler
des RSL wieder mit Hitlergruß verabschieden. Das scheint die Normalität zu
sein; wegschauen, verdrängen, unter den Tisch kehren. Eskaliert ist das Ganze
dann am 24.10.09.; Auswärtsspiel beim FSV Brandis, einer 10.000 Seelen
Gemeinde, 20 km nördlich von Leipzig und das ist das wirklich Schlimme. Sowohl
die Polizei als auch die Vereinsverantwortlichen hatten im Vorfeld erfahren,
dass es einen Nazi-Aufmarsch zum Spiel geben würde. Trotzdem stellte die
Polizei nur zehn Beamte ab, die dann mit der Situation hoffnungslos überfordert
waren. Plötzlich kam eine Stadiondurchsage an die Fans des RSL, sie mögen doch
bitte die Seite hinter dem Tor räumen, „die Dummen“ würden ja doch gleich
kommen. Augenzeugenberichten zufolge waren es ausgerechnet Ordner des FSV
Brandis, die den rechten Schlägern einen separaten Eingang öffneten. Dort in
der Nähe waren Eisenstangen, Holzlatten und Steine deponiert, die dann von den
etwa 50 Angreifern zum Einsatz kamen, an denen sich auch ein Brandiser Ordner
beteiligt haben soll.. Drei Fans wurden schwer verletzt, ein Spieler von RSL
erlitt eine Handprellung. Das Spiel wurde nach zwei Minuten vom Schiedsrichter
abgebrochen. Ein Vorstandssprecher des
FSV Brandis räumte später ein, man habe dem randalierenden rechten Pöbel
bewusst den Eingang geöffnet, „damit sie nicht draußen Autos und Busse
demolieren“. Ein Menschenleben für den „unverletzten“ SLK!!!. Wer mal auf die
Seite von Sportswire.de schauen mag, findet dort widerliche Kommentare zu
diesem Angriff (davon will ich nur die ersten zitieren): „tolle Aktion der Kameraden!...“Weiter
so!...Kommunismus & Antifa-Banden zerschlagen!“ – „richtig, schlagt das
rote Pack, wo ihr es trefft!“ – „keinen Fußbreit dem RSL und seinen Anhängern“
(letztgenannter Kommentar stammte im Übrigen von Domenique O., ehemaligem
NPD-Mitglied und Mandatsträger, vorbestraft wegen Beleidigung und
Volksverhetzung, der auch noch eine andere Historie in Sachen Pädophilie
hat...bitte nachlesen im Netz beim Kölner Stadtanzeiger!!!).
Die Verantwortlichen des RSL ermöglichten
mir das Interview mit einem Anhänger des Vereins, der in Brandis dabei gewesen
ist:
ÜS: Was genau ist passiert? Wie
habt ihr das erlebt?
Im Vorfeld der Partie in
Brandis bei Wurzen wurden Befürchtungen laut, es könnten eventuell ein paar
mehr als die üblichen zwei Handvoll Dorfnazis den Weg zum „Sportplatz des
Friedens“ finden. Um unsere bislang erfolgreiche Strategie, mit einem
zahlenmäßig überlegenen Anhang den Pöbel mit Nichtachtung zu strafen, auch in
der ehemals „National befreiten Zone“ im Osten Leipzigs nachgehen zu können,
begleiteten erneut weit über 100 RSL-Supporter ihr Team in die Provinz. Bis
kurz vor Anpfiff sah auch wieder alles aus wie immer, rund 10 Nazideppen
standen auf der anderen Seite des Sportplatzes und waren hässlich, aber nicht
mehr. Du hast ja in deinem Text schon einige Details angebracht, besonders das
mit „den Dummen“ hat mich vor Ort etwas verwundert. Dann kehrte ein Kollege mit
den Worten „Da kommen noch ganz viele!“ vom Bratwurststand zurück und alsbald
ging alles relativ schnell. Besagte 50 Atzen bogen um die Ecke des
Vereinsheims, zogen sich ziemlich parallel zum Anpfiff des Spiels Handschuhe
und Mundschutz an, pöbelten rum, schwenkten Knüppel und setzten sich alsdann in
unsere Richtung in Bewegung. Unsere ziemlich panische Flucht wurde durch die
unwegsamen örtlichen Gegebenheiten gebremst, und als uns nichts anderes übrig
blieb, als aufs Spielfeld zu rennen, wurde irgendwann wieder unsere
zahlenmäßige Überlegenheit deutlich, uns und auch den Angreifern. Einige von
uns waren in der Lage, sich ganz gut zu wehren, was wohl den Impuls auslöste,
mit vereinten Kräften den Scum von der Anlage zu drängen. Dies gelang
schließlich. Es konnte sich um die Verletzten gekümmert werden und dann kam
auch irgendwann die Polizei. An Fußball war da nicht mehr zu denken, auch wenn
der Schiedsrichter das eventuell anders sieht.
ÜS: Wie beurteilt Ihr das
Verhalten der Ordner und derPolizei?
Von den vor Ort gewesenen
Sicherheitskräften kann man kaum jemandem Vorwürfe machen, weder den 6
Streifenpolizisten (im Strickpulli und Motoradhelm!), noch den Brandiser
Ordnern (ältere Vereinsmitglieder im Trainingsanzug). Gegen den angreifenden
Mob hätten die sich nie behaupten können. Was zu kritisieren ist, ist jedoch,
dass es sowohl beim FSV Brandis als auch bei der Polizei im Vorfeld des Spiels
Hinweise auf einen geplanten Überfall gab. Die Blauäugigkeit des Dorfvereins,
statt der üblichen 4 nun 12 Rentner als Ordner abzustellen, nun ja, die haben
halt auch noch nie etwas Vergleichbares erlebt und hatten natürlich null Plan.
Wenn so eine vage Vermutung im Raum steht, ist auch von der Polizei nicht zu
erwarten, dass sie mit einer Hundertschaft zu einem Spiel der 7. Liga anrückt.
Ich vermute mal, dass die Beamten vor Ort dann während des Angriffs doch ihre
Kollegen benachrichtigten, aber es dauerte auf jeden Fall ewig, bis dann jemand
kam. Und die noch am selben Tag herausgegebene Polizeimeldung, „Einsatzkräfte
hätten am Rande eines Fußballspiels 2 rivalisierende Gruppierungen getrennt und
den Sportplatz daraufhin geräumt“ ist einfach nur lächerlich und grundfalsch!
Aber wahrscheinlich ging die Polizei davon aus, dass der RSL es dabei belassen
würde und sich zu den Vorfällen, wie so oft bei früheren Angriffen auf
linke/alternative Projekte/Gruppen, nicht äußern würde.
ÜS: Sind solche Vorfälle schon
öfters passiert?
In dieser Größenordnung ist so
etwas noch nicht vorgekommen. Es gab im Jahr 2002 schon einmal einen gezielten
Angriff auf den RSL, damals beim Auswärtsspiel in Lützschena, als Fans und
Mannschaft während des Spiels von ca. 10 Nazi/Lok-Hools aus dem Gebüsch heraus
attackiert wurden. Wie auch in Brandis konnten damals die Angreifer in die
Flucht geschlagen werden. Das Spiel konnte daraufhin fortgesetzt werden und
endete 1:1.
Zusätzlich gab es in den
letzten 10 Jahren immer mal Nazi-Scum auf Seiten der Gegner, aber es blieb so
gut wie immer bei Pöbeleien, wohl auch, weil unser Anhang schon zahlenmäßig
oftmals weitaus überlegen ist. Mit dem Aufstieg in die Bezirksklasse dieses
Jahr häufte sich das Auftauchen von Nazis bei Auswärtsspielen, bereits am 2.
Spieltag wurden wir in Oschatz mit dem Hitlergruß empfangen, was zu kurzen
Handgreiflichkeiten zwischen den Fanlagern führte. Auch hier wurde das Spiel
lediglich unterbrochen und schließlich vom RSL siegreich zu Ende gebracht. Auch
die drei folgenden Auswärtsauftritte des RSL im Hinterland von Torgau und
Eilenburg wurden von einigen Nazis besucht, welche jedoch vom Sterne-Anhang
erfolgreich ignoriert wurden.
ÜS: Wie waren die Reaktionen der Polizei, wie verliefen die Ermittlungen bislang?
Nach der anfänglichen
Falschmeldung der Polizei (s.o.) geriet diese bald durch das gewaltige
Presseecho unter Druck. Vor dem Hintergrund dieser bislang nicht da gewesenen
Qualität von rechter Gewalt war die Polizei zum Handeln verdammt und alsbald
traten der sächsische Polizeipräsident und die extra aufgestockte Soko Rex
(Sonderkommission Rechtsextremismus) auf den Plan und wollte schnelle
Ergebnisse vorweisen. Aber trotz der gemachten Anzeigen, Aussagen und des
Beweismaterials (inkl. vieler Fotos und eindeutiger Namenszuordnung im
Internet) ist bis heute leider kein einziger der Angreifer verhaftet worden.
Wir können nur hoffen, dass das nicht alles irgendwann im Sande verlaufen wird.
ÜS: Gab es schon andere Anfeindungen gegen den RSL?
Du hattest ja bereits den
Vorfall beim D-Jugendspiel letztes Jahr angesprochen. Ein Spiel unserer
A-Jugend Anfang 2008 wurde gar nicht erst angepfiffen, da die Spieler des
Gastvereins Eintracht Wiederitzsch zur Hälfte in Thor-Steinar-Montur daherkam.
Unsere Jugendlichen weigerten sich daraufhin, gegen diese zu spielen.
Das RSL-Vereinsheim
„Fischladen“ wurde am 20. April 2008 Opfer eines versuchten Brandanschlags. Zum
Glück traf nur ein Stein die Schaufensterscheibe, der Brandsatz selbst nur die
Wand des ansonsten überwiegend von Familien bewohnten Hauses.
Gelegentliche Gästebucheinträge
und Pöbeleien in diversen Foren gibt es auch, aber die Heldentaten solcher
Internet-Hooligans gehen uns eigentlich am Allerwertesten vorbei.
ÜS: Wie waren die Reaktionen der Verbände?
Ich müsste lügen, wenn ich
jetzt sagen würde man war bestürzt oder sprach uns irgendwelche Anteilnahme
aus. Sicherlich gab es da Reaktionen von Einzelpersonen, auch von anderen
Leipziger Vereinen, aber soweit ich weiß, hat sich weder der Leipziger noch der
Sächsische Fußballverband offiziell irgendwie gezuckt. Wir warten jetzt auf das
Urteil des Sportgerichts, ob wir zum Wiederholungsspiel nach Brandis müssen
oder eines der beiden Teams das Spiel am Grünen Tisch gewinnt.
ÜS: Vielen Dank
DER VEREIN ROTER STERN LEIPZIG 1999 e.V.
|
Im Frühjahr 1999 fanden sich einige
Gestalten zusammen, vornehmlich aus den 5. Herren von Blau-Weiß Leipzig,
abgestoßen durch die in fast allen Leipziger Vereinen vorherrschende
großdeutsche, oft rassistische oder faschistoide Grundstimmung, um einen
eigenen Verein zu gründen, der den herrschenden Vereinen ein alternatives
Modell der Fußballkultur entgegenstellen wollte. So begreift sich der Verein
RSL als linker, antifaschistischer und antirassistischer Verein, der im
Rahmen seiner Möglichkeiten auf eben jene gesellschaftlichen Zustände wie
Rassismus, Sexismus, Antisemitismus oder Homophobie hinweisen und dagegen
anzugehen versucht. Man engagiert sich seit 10 Jahren bei der Vorbereitung
und Ausführung der Mondiali Antirazzizti, organisiert Ausstellungen,
Lesungen, BAFF-Treffen ect. und versucht gerade durch Jugendarbeit,
antidiskriminierende Standards, nicht nur im Fußball-Umfeld zu vermitteln.
Letzten Monat wurde Roter Stern Leipzig für seine Arbeit mit dem Sächsischen
Förderpreis für Demokratie ausgezeichnet.
Inzwischen gibt es im Verein fünf
Jugendteams, ein Frauenteam, drei „richtige“ sowie ein „altes“ Herrenteam.
Trotz dieser Menge an Aktiven hat der RSL weiterhin keinen eigenen Sportplatz
zur Verfügung. Er muss sich stattdessen zwei außerhalb von Connewitz gelegene
Spiel- und Trainingsstätten mit anderen Vereinen teilen, von deren Seiten dem
Verein auch des Öfteren Steine in den Weg gelegt werden. Die Heimspielstätte
teilt sich Roter Stern seit 10 Jahren mit Einheit Leipzig Ost, deren Spieler
sich teilweise aus dem rechten Hooliganumfeld von Lokomotive Leipzig
rekrutieren.
|
Nachspiel:
Das
zuständige Sportgericht hat nun sein Urteil gesprochen: das Spiel wird neu
angesetzt, RS Leipzig muss also demnächst erneut in Brandis antreten; ein
Urteil, das bei den Leipzigern natürlich Entsetzen auslöst, vor allem die
Begründung: So sagte der Verbandspräsident des Sächsischen Fußballverbandes
Rainer Hertle: "Nach zwei Minuten liegt
noch kein aussagekräftiges Ergebnis vor, daher haben wir dieses
Wiederholungsspiel angesetzt.“ Die
Vorwürfe des Gästevereins, ein Ordner habe die Gruppe Neonazis reingelassen,
seien laut Hertle "glaubwürdig entkräftet worden. Der Verein hat die ihm
zumutbaren Bedingungen für eine ordnungsgemäße Durchführung des Spiels erfüllt,
darum trifft ihn keine Schuld." Das sieht RS Leipzig natürlich komplett
anders, denn wenn trotz der Vorwarnungen Steine, Holzlatten und Eisenstangen
für die Angreifer auf dem Stadiongelände bereitgelegen hatten, dann könne von
ordnungsgemäßer Durchführung des Spiels kaum die Rede sein, sagte Sprecherin
Claudia Krobitzsch. Eine Einschätzung, der man sich durchaus anschließen
kann!!! Die Roten Sterne haben nun noch sieben Tage Zeit, um Einspruch
einzulegen. Der wird kommen, sollte er abgelehnt werden, erwägt man einen
Boykott des Wiederholungsspiels. Inzwischen war auch die Polizei mal nicht
untätig: fünf Männer im Alter zwischen 19 und 28 Jahren wurden festgenommen,
die im Verdacht stehen, an der Platzstürmung in Brandis beteiligt gewesen zu
sein. Haftbefehl wurde erlassen, Wohnungen wurden durchsucht. Die Verhafteten
waren teilweise einschlägig vorbestraft, zwei waren sogar nur auf Bewährung auf
freiem Fuß. Alle fünf sind aber „dem gewaltbereiten rechten Spektrum“
zuzuordnen, so die Staatsanwaltschaft. Weitere Ermittlungen laufen noch, da es
zahlreiches Foto- und Videomaterial gibt.
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