Mittwoch, 1. August 2018

WIE ALLES BEGANN

Stolpersteine für die Familie Hoffmann, 
Rappstraße 16 (Rotherbaum, Bezirk Eimsbüttel)

HIER WOHNTE
HERMANN HOFFMANN 
JG. 1913 
VERHAFTET 1936 
UG HAMBURG 
1938 POL.GEF. FUHLSBÜTTEL 
1939 BUCHENWALD 
DEPORTIERT 8.11.1941 
ERMORDET IN 
MINSK
HIER WOHNTE
LYDIA HOFFMANN 
GEB. BÖTZEL 
JG. 1912 
DEPORTIERT 1941 
ERMORDET IN 
MINSK
SOHN
VON HERMANN UND LYDIA 
JG. 1942 
ERMORDET 1942

drei stolpersteine von mittlerweile über 5.400, die in hamburg verlegt worden sind und die ich mittlerweile alle abgewandert und fotografiert habe. 

und drei, die für mich eine besondere bedeutung haben.
das waren nicht die ersten, die ich fotografiert habe...und vielleicht hätte ich auch sie nie fotografiert - vielleicht wäre ich irgendwann mal über sie "gestolpert", was ich aber unwahrscheinlich finde...ich bin zwar gerne im grindelviertel unterwegs, aber weniger in den seitenstraßen.
ich bin ein leidenschaftlicher spaziergänger und ein leidenschaftlicher knipser, wie ja viele meiner leser sicher wissen - und ich interessiere mich für geschichte und vor allem für jene des nationalsozialismus (wobei ich das nicht auf die zeit zwischen 1933 und 1945 beschränke, denn die zeit hat eine vorgeschichte und sie hat auch noch ein nachspiel) und im speziellen auch für jene der stadt, in der ich lebe (ich darf da auf meine blogs über den hafen und die alster während der ns-zeit hinweisen)...
die gedenkstätten für die opfer der ns-herrschaft in hamburg hatte ich (fast) alle erwandert und auch sonst hatte ich erstmal nix spektakuläres mehr zu besuchen in der stadt...so bin ich ende 2016 auf eine idee gekommen.
 stolpersteine ansich kenne ich schon länger...wenn ich einen gesehen habe, bin ich schon mal stehen geblieben (sozusagen gestolpert) und wenn ich weiß, wo einer liegt, achte ich grundsätzlich darauf, nicht drauf zu treten.
ende 2016 bin ich irgendwie auf die wikipedia seite zu den stolpersteinen in hamburg gestoßen und habe festgestellt, daß dort noch eine ganze menge bilder von den steinen fehlten, auch in meiner hood, in horn. 
so entstand denn das projekt...ich helfe wikipedia...suche die stolpersteine, deren bilder fehlen, erwandere die orte, mache bilder und lade sie auf wikipedia hoch, damit alle menschen sie sehen können. 
habe also ende 2016 in horn damit angefangen, mich bei wikipedia angemeldet und meine bilder gemacht...und die dann hochgeladen. 
das ist ein nicht so ganz einfacher prozeß, dieses hochladen...es gibt dafür zwei verfahren - eines für profis, das ich nicht verstehe und ein neueres für doofe wie mich, das etwas einfacher ist, aber immer noch vor allem zeitaufwendig.
ja, sehe ich auch alles ein...thema datenschutz, plagiatierung, copy+paste. 
auf jeden fall dauerte das bearbeiten der bilder länger als das erwandern.
aber man tut ja vieles für die gute sache und ich hatte spaß daran, meine spaziergänge künftig wieder mit einem guten ziel verbinden zu können.
...änderungen eines beitrages auf wikipedia müssen erst, bevor sie öffentlich sichtbar werden, erst noch von den administratoren genehmigt werden - auch das ist vollkommen legitim.
doch es entbrannte nach meinen ersten bildern ein streit zwischen zwei der admins, die die stolpersteine-hamburg-seiten auf wikipedia betreuten...
der eine war total angetan von meiner hilfe und ermunterte mich darin, weiterzumachen...der andere war mit meinen bildformaten nicht einverstanden, weil man die bilder des "einfachen hochladers" noch nachbearbeiten mußte, um sie auf das richtige format zu bekommen (stellt sich mir die frage, warum es den denn gibt)...admin 1 sagte auf jeden fall: "mach weiter so" und so habe ich denn weiter gemacht...zunächst mit borgfelde, weil dort noch viele bilder fehlten, war in diversen stadtteilen und stolz wie bolle auf meine wichtige gesellschaftsrelevante "arbeit'"
dann, wo die größte lücke war, mit harburg. 
die streiterei ging weiter...admin 2 meckerte ständig "du mußt das so und so machen" - admin 1 verteidigte mich und den einfachen hochlader. 
ich war zwei tage in harburg, bin an den zwei tagen jeweils etwa 10 km durch den stadtteil gewandert und habe massenhaft bilder gemacht von steinen, mich auf meinen hintern gesetzt, einen freien nachmittag und einen feierabend danach mit dem bearbeiten und hochladen der bilder verbracht. 
und dann auf lob und anerkennung gewartet...nix...die bilder waren tags darauf immer noch nicht sichtbar und alle in der datei gelöscht. 
zwei tage, 20 km wandern, für die katz und auf nachfrage die nachricht von admin 2, der mich ziemlich schulbubenhaft abkanzelte: 
er hätte mir doch schon so und so oft erklärt, wie ich meine bilder zu bearbeiten und hochzuladen hätte...und ich würde immer noch mit diesem amateur-hochlader arbeiten, den er nicht haben wollte. 
"mach das in zukunft richtig, oder gar nicht...ich habe keine lust, dir ständig hinterherzuräumen!!!" 
da war ich denn doch etwas eingeschnappt...DANN - tut mir leid - mache ich das halt gar nicht, jedenfalls nicht für euch...mich in die schmollecke verkrochen und trotzdem an der idee herumgekaut...denn die bilder fehlen ja immer noch im netz (inzwischen gibt es bei wikipedia scheinbar schlauere menschen als mich, die ihre bilder auch vernünftig hochladen können).
und so ist denn diese idee entstanden...wenn wiki das nicht will, dann mach ich das halt für mich selbst, werde meine eigene seite basteln und jeden stolperstein in hamburg erwandern und fotografieren - als medium dafür hatte ich mir zunächst, weil das am einfachsten ist, eine eigene FB-seite gewählt und bin nun, im juli 2018, nach etwas über anderthalb jahren am ende meines weges...bin an allen orten gewesen und habe alle vorhandenen steine abgelichtet und dokumentiert - 29 steine fehlen noch, die auf der stolpersteine- homepage der "landeszentrale für politische bildung" aufgeführt sind...die sind entweder gestohlen worden oder wurden wegen straßenbaumaßnahmen entnommen und sind noch nicht wieder verlegt worden. 
ich durfte meine FB-seite sogar auf einem treffen der stolperstein-AG vorstellen, habe fehler bei namen und orten gemeldet und hab viel lob und anerkennung geerntet, was mich natürlich extrem gebauchpinselt hat. 
ABER ich habe dort auch bei einigen mitgliedern der AG gewisse ressentiments gegenüber FB mitbekommen und natürlich hat man auch nur einen eingeschränkten - wenn auch großen - nutzerkreis...ich habe über die seite menschen aus schweden, israel, argentinien, england und den USA kennengelernt , die nachfahren von opfern des ns-regimes aus hamburg sind.
AABER...neben den menschen von der AG habe ich auch noch weitere menschen kennengelernt, die sich zwar für meine arbeit interessieren, doch ebenfalls kein FB-konto haben, was ja durchaus legitim ist.
so werde ich denn - als projekt für die langen dunklen winterabende - meine stolperstein-bilder auch nach und nach in meinem blog hochladen, damit auch menschen, die zuckerbergs plattform ablehnen, sie anschauen können, um selbst vielleicht für sich orte zu entdecken, an welchen welche liegen.
das erwandern der steine hat mich an orte in hamburg geführt, an denen ich zuvor noch niemals gewesen bin (und wo ich vielleicht auch nie wieder hinmöchte) - ich war in 77 von 104 stadtteilen hamburgs und kann gar nicht aufzählen, mit wie vielen buslinien ich inzwischen gefahren bin...kann am ende meiner reise wahrscheinlich besser verkehrsverbindungen herausfinden als die hvv-app und kann nun straßen in hamburg nicht nur danach definieren, ob sich dort ein fußballplatz befindet, sondern auch, ob dort ein stolperstein liegt...
das beschäftigen mit den biographien wirft immer wieder fragen auf...so pragmatische wie: heinz leidersdorf lehrte an der talmud-tora-schule am grindelhof und wohnte in rahlstedt, dr. max fraenkel hatte seine praxis am stephansplatz und wohnte in volksdorf...wie mögen die zwei wohl morgens zur arbeit und abends nach hause gekommen sein...
aber wie gesagt...die drei steine, die mich am meisten bewegt haben, sind jene in der rappstraße 16 für die familie hoffmann - hermann war 28 und lydia war 29 jahre alt, als die beiden im november 1941 (entweder am 08. oder 10 tage später) ins ghetto nach minsk deportiert und knapp ein jahr später ermordet wurden...ein junges paar, das sein leben noch vor sich hatte und das, trotz allem was die nazis in den vergangenen jahren hermann und den juden im allgemeinen angetan hatten, sogar noch ein kind in diese welt setzten...
ich weiß nicht, ob lydia schon schwanger nach minsk fuhr oder ob das kind erst in der vollkommen anderen welt im ghetto gezeugt wurde...
ich weiß nicht, ob lydia und hermann daran glaubten oder vielleicht hofften, daß sie und das kind in dieser welt unter diesen bedingungen eine zukunft haben könnten...es gab keine zukunft...für hermann und lydia nicht und auch nicht für das neugeborene kind, welches nicht mal ein jahr alt werden durfte. 
es gibt - bei den kindern und säuglingen im klinikum rothenburgsort, wo doch kinder mit behinderungen betreut und nicht ermordet werden sollten...bei den kindern aus den  jüdischen waisenhäusern, die allesamt in den tod geschickt wurden...bei den babys von zwangsarbeiterinnen, die ermordet wurden, verhungerten oder mangels medizinischer betreuung tot geboren wurden  - opfer, die keinen nachnamen haben, weil man die eltern nicht kannte...
das kind von lydia und hermann wurde ermordet und hatte nicht mal einen vornamen...auf dem stein steht einfach nur SOHN...
vielleicht hatten ihm die eltern einen namen gegeben - man weiß es nicht...wenn ja, machten sich die nazis keine mühe, den zu erfragen oder zu notieren, als sie das kind töteten...wo sie doch sonst alles akribisch notierten und dokumentierten...aber sie hielten das wohl in diesem falle nicht für nötig, denn die eltern und das kind, das sie ermordeten, waren für sie ja keine menschen in ihrem weltanschaulichen sinne.
so starb SOHN...ohne bild, ohne namen - alles was an dieses meschliche wesen erinnert, ist eine kleine messingplatte auf dem bürgersteig, neben den beiden, mit denen seiner eltern gedacht wird. 
eine kleine messingplatte, 10x10 cm groß.
alles, was ich an wut, schmerz, trauer und unverständnis für das empfinde, was menschen in diesem land menschen angetan haben, kummuliert in diesen drei steinen...als meine wanderung dorthin kam in die rappstraße, war ich sprachlos und allen, die auf meinen grindelwanderungen mitgenommen habe, ging es ähnlich wie mir und jedes mal, wenn ich das gefühl ohnmächtigen schweigens habe, dann erinnere ich mich an die gedenktafel am bullenhuser damm. 
wir leben ja inzwischen in einem weithin geachteten land als mitglied der freien welt und sind mittlerweile ein musterschüler in demokratie...
aber NEIN...gerade weil wir so toll entnazifiziert wurden, sagen inzwischen viele "laß doch endlich mal die ollen kamellen sein"...und dabei - nicht erst seit dem erstarken der afd, nicht erst seit dem hochkommen der "flüchtlingsdebatte", nicht erst seit dem auffliegen des NSU, der die republik nun seit 20 jahren beschäftigt...
lichtenhagen, mölln, solingen...das oktoberfest...der wehrhahn...
es köchelt...wir sind in diesem land gerade mal eine spucknapfweite von unserer unbewältigten ns-vergangenheit entfernt, verkleistert von der sahne auf unserem sonntagskuchen aus den 50ern, schwimmt in unserer schweinshaxen-bratensoße und lauert sogar im "aber mit alles und scharf", wenn wir unseren döner bei unserem lieblingstürken um die ecke konsumieren.

(wie himmler einmal sagte: jeder kennt diesen einen juden...)
...ein latenter rassismus, ein latenter antisemitismus...manchmal und immer häufiger in taten...vielfach in worten und oft in duldung - und wer auch immer sagt, das sei nur eine minderheit...das waren die nazis bis weit in die 20er jahre auch noch, angeführt von einem belachten österreichischen schreihals als anführer einer bayrischen splitterpartei und nicht mal zehn jahre später war schluß mit lustig.
ich bin weit entfernt davon, den teufel an die wand zu malen...was aber nicht heißt, ein bild von eitel sonnenschein zu zeichnen...isses nämlich nicht. 
lydia, hermann und vor allem SOHN sollten einen gemahnen, wachsam zu sein und zu bleiben...jeder auf seine weise...
mein weg ist es, zu dokumentieren und zu informieren, mit meinen bescheidenen möglichkeiten, um menschen zum nachdenken zu bewegen...ich weiß, ich erreiche vielfach vor allem jene, die eh schon auf der "richtigen" seite sind, aber als ergebnis all meiner wanderungen, wenn ich von ihnen erzählt habe, habe ich auch schon ein paar menschen erreicht, die vorher nicht wußten, was stolpersteine sind, die nicht wußten, wie viele es in hamburg gibt.
ich hatte mal die frage: "was muß man denn tun, um einen stolperstein zu bekommen?" und hab geantwortet: "ansich gar nichts...reicht, wenn die nazis dich ermordet haben!"  - oder die frage: "aber der war doch gar kein jude...wieso hat der denn einen stolperstein???" woraufhin die antwort sehr ähnlich der ersteren war. 
kleine erinnerungsplättchen im bürgersteig - ich weiß um die massive kritik an dem stolperstein-projekt, auch von charlotte knobloch, präsidentin der israelitischen kultusgemeinde münchen und oberbayern...
vielleicht ist das nicht die optimalste lösung für das gedenken und das erinnern ...aber ich weiß keine bessere - im september kommen die nächsten 47 stolpersteine in hamburg dazu in insgesamt 12 stadtteilen (davon allein 24 wieder in haburg) - und so werde ich weiterwandern und knipsen...






Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen