“Definieren sie Generationenkonflikt…
wenn sich zwei Kinderwagen und zwei Rollatoren
um drei Plätze im Bus streiten”
Kleiner Scherz…ist noch nicht so lange her, da fand ich das noch witzig,
das hat sich quasi über Nacht geändert - und das liegt nicht daran,
daß ich etwa als frischgebackener Vater mit dem Kinderwagen
unterwegs bin.
Ich gebe zu, was ich inzwischen mache, ist Jammern auf ganz hohem
Niveau, weil ich ansich schon wieder relativ beweglich bin, aber vor
knapp einem Jahr war ich noch ganz anders unterwegs.
Im Juni bin ich ins Krankenhaus gekommen; Psoriasis Arthritis -
Schuppenflechte, die eine Autoimmunreaktion ausgelöst hat, so daß
mein Immunsystem angefangen hat, die Knorpel in meinen
Kniegelenken aufzufressen, dazu vom Alkoholkonsum noch
Polyneuropathie, eine Nervenkrankheit, die die Beine zittrig,
den Gang unsicher macht.
Im Krankenhaus haben sie mich von Station zu Station geschoben, um
die Ursache für die Infektion herauszufinden, was nicht gelungen ist,
so daß man mich mit reichlich Schmerztabletten und Krücken nach
Hause geschickt hatte.
Mit der Konsequenz, daß ich wegen der Schmerzen (und wie soll man
mit “Unterarmgehstützen” Treppen herunter klettern?) quasi bis
September meine Wohnung nicht mehr verlassen hatte.
Inzwischen - erstaunlich, wie schnell das geht - war meine Bein-
muskulatur auf nur noch 60 % geschrumpft und meine Sehnen in der
Wade hatten sich verkürzt - Aufrecht gehen schwer gemacht.
Nach 10 Tagen hatten sie dann endlich einen alten im Keller aufgetrieben.
Ist jemandem schon mal aufgefallen, daß viele Wege gewölbt sind?
Von der Mitte zu den Seiten hin abfallend - macht Sinn, daß Regenwasser
besser abfließen kann, für Rollifahrer die Hölle, weil der Stuhl andauernd
zur Seite rollen will und man andauernd gegensteuern muß.
Next Exit Entgiftung Alsterdorf…schön, daß viele therapeutische
Anwendungen in anderen Gebäuden stattfinden, bei den sieben Zwergen,
hinter den sieben Bergen…hätten mich nicht freundliche Mitpatienten
gehabt, die mich geschoben haben, hätt ich das nicht gepackt, an
manchen Sachen teilzunehmen.
Bald war ich durch geduldiges Training so weit, daß ich schon kurze
Strecken mit Rollator geschafft habe - DAS! (Prognose der Ärzte)
wird deine Fortbewegungshilfe für längere Zeit sein.
Nun gibt es bei Rollatoren ja auch die verschiedensten Ausführungen.
Die Variante, die mich begleitet hatte, war logischerweise das Modell
“Kasse”, 12 kg schwer, nicht faltbar…kurz mal nachgedacht, wie das
denn in Zukunft aussehen soll:
In meine Wohnung im zweiten Stock mitnehmen…grober Unfug…i
m Flur stehen lassen und mit zwei dort abgestellten Kinderwagen
konkurrieren, wird auch nicht funktionieren, kommt denn gar keiner
mehr durch.
Also, einen faltbaren und leichteren - das bezuschussen die
Krankenkassen mit immerhin 50 €; zur Einordnung, dafür bekommt
man ungefähr die vier Räder einer vernünftigen Ausführung.
Mit meinem neuen Spaßmobil Modell TURBO begann ich also ab
September letzten Jahres die Welt zu errollen.
Wie gesagt, was ich mache, ist jammern auf hohem Niveau, aber ich
versuche mir in manchen Situationen halt vorzustellen, ich wäre ein
Omchen oder ein Rollifahrer.
Ich könnte jetzt mit der Qualität der Bürgersteige anfangen, so denn
überhaupt vorhanden - in Jenfeld z.B. sind vielfach links und rechts der
Straßen Kieswege für Fußganger.
Besonders nach einem gesunden Landregen konnte ich feststellen,
daß mein Turbo nicht geländegängig ist… und auch nicht schwimmfähig.
Aber auch ansonsten ist das, was unsere Stadt Fußgängern in manchen
Gegenden zumutet, eine ziemliche Frechheit, was die “Plattentektonik”
anbelangt.
Reden wir auch davon, Straßen zu überqueren - wofür man erstmal
eine Auffahrt oder eine abgesenkte Stelle finden muß und die muß
natürlich auch noch nicht zugeparkt sein.
Nunja, als Stadtplaner viele Straßen in Wohngegenden angelegt hatten,
da hatte vielleicht jeder zwanzigste
Bewohner n Auto und da waren auch
noch viele Käfer dabei und nicht wie
heute, wo zur schicken Altbauwohnung
oder dem schnieken Eigenheim auch
noch ein geländetaugliches
Panzerfahrzeug gehört, das längs
geparkt die Abgänge verstopft oder
quer den ohnehin schon schmalen
miserablen Fußweg um die Hälfte
in der Breite schmälert.
Wie nahe darf man an einer Kreuzung
parken?
Es gibt Ecken in Hamburg, die
sind für Rollifahrer quasi unbewohnbar,
weil es nahezu unmöglich ist, vernünftig von a nach b zu kommen und
jede Form von Straßen- oder Rohrbauarbeiten erschwert das Leben
in den anderen Gegenden noch zusätzlich.
Okay, machen wir weiter…mein größtes Problem ist, wegen meiner
verkürzten Muskulatur noch immer das Treppensteigen; die wenigsten
Busfahrer senken an der Haltestelle ihren Bus ab, daß man als Rollatori
da vernünftig hineinkommt und ist man erstmal drinne, geht es weiter
mit den Problemen.
Der Rollatoren-Kinderwagen-Raum in der Mitte nebst der Notbank
erfreut sich generell allergrößter Beliebtheit bei Jugendlichen, die zumeist
erstmal mit vollkommen unverständigen Blicken reagieren, wenn man
in sein Eckchen rollen will.
So ganz nebenbei frage ich auch, warum Menschen ihr Fahrrad (so es
keinen Platten hat) im Bus transportieren…um dann im Büro mit
ihrem Umweltbewußtsein angeben zu können?
Ach ja, wenn man im vorderen Teil eines Gelenkbusses einsteigt und da
ist es voll und man will nach hinten durchgehen - der Gang über den Achsen
ist zu schmal, kommt man mit einem unfaltbaren Rollator nicht durch, ebenso
wenig wie man in der U-Bahn einen Platz erreichen kann, der nicht direkt an
der Tür ist.
Über das Thema Barrierefreiheit und HVV will ich nur wenig schreiben,
sonst komme ich noch in Rage - okay, es ist schon viel besser geworden,
was die Versorgung mit Fahrstühlen anbelangt.
Setzt natürlich voraus, daß die Dinger funktionieren, denn gerade an der U1
gibt es keine Alternative, weil es an vielen Haltestellen - wenn der Fahrstuhl
mal nicht funktioniert - keine Rolltreppen gibt oder allerhöchstens eine in eine Richtung.
Stolz wirbt der HVV damit, daß nun endlich auch Hutwalckerstraße geliftet ist
…bloß fahren tut der nigelnagelneue Fahrstuhl nicht.
Wartung und Reparatur von so einem U-Bahn-Lift dauert im
Schnitt etwa drei Monate, wie ich die Erfahrung gemacht habe.
Seit ich mit meinem Turbo unterwegs bin, achte ich natürlich auf sowas,
und wenn ich eine kompliziertere Tour vor mir habe, schau ich mir auch jedes
Mal vorher die HVV-Seite an, ob denn alle Fahrstühle auf meiner Route funktionieren, um keine bösen Überraschungen zu erleben.
Gut, wenn natürlich wieder mal irgendwelche Deppen über Nacht
einen Lift kaputt gespielt haben, was gerne von Sonnabend auf Sonntag
passiert (S-Bahn Hasselbrook ist da sehr gern genommen), kann natürlich
auch die Homepage häufig nicht schnell genug sein.
Was ich noch nicht probiert habe ist, wie es denn mit diversen
kulturellen Einrichtungen aussieht; ich hatte da bisher nur eine
Erfahrung mit dem Museum für Hamburgische Geschichte.
Um in die Sonderausstellung zu gelangen,. muß man mehrere
Zwischenebenen überwinden und mehrere Türen öffnen - Türen,
die nach außen aufgehen, was mit Rollator schwierig, mit Rollstuhl
ohne Begleitung unmöglich ist.
Man ist also auf die Hilfe des Personals angewiesen, ebenso wie bei
den Zwischenebenen, für die es Hebebühnen gibt.
DA stand ich also, weit und breit niemand zu sehen…nach zehn Minuten
kam denn ein Angestellter und fragte, was ich denn wollte.
(HM…warum stehe ich vor dieser Hebebühne?)
Nachdem ich ihm mitgeteilt hatte,was denn mein Begehr sei, entschwand
er, kam nach zehn Minuten wieder.
“ich hab den Schlüssel nicht…den hat eine Kollegin”
Also auf die Kollegin warten, die denn nach weiteren zehn Minuten eintraf,
nur um uns mitzuteilen, daß sie den Schlüssel auch nicht hat, den hätte
nämlich noch eine andere Kollegin.
Ich hab denn mal vorsichtig nachgefragt, ob es denn möglich wäre, die
Kollegin irgendwie zu kontaktieren, um an den Schlüssel zu kommen.
“Nee, die ist gerade zur Pause”
Also noch ein Viertelstündchen warten, bis denn die Kollegin erschien
und mit einigem Widerwillen, weil sie sich so gehetzt fühlte, die
Hebebühne bediente, um mich herabzulassen.
So viel denn zum Thema herablassende Behandlung.
Ich nach diesen Erfahrungen doch ziemlich froh, daß ich mittlerweile
vieles ohne meinen Turbo schaffe - das dreiviertel Jahr hat mich auf jeden
Fall viel Demut gelehrt und ich sehe vieles, was mit dem Thema Mobilität zusammenhängt, inzwischen mit
vollkommen anderen Augen, wie viel schwerer das, was mir schon
schwer fiel bis teilweise unmöglich war, für Menschen sein muß,
die noch weiter in ihrer Beweglichkeit
eingeschränkt sind als ich es war.
Ich will nicht verhehlen, daß einiges schon besser geworden ist,
aber dennoch, da ist noch vieles an Luft nach oben.
Bernd C.
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