Montag, 31. März 2008

Auferstanden aus Ruinen


Auferstanden aus Ruinen...oder auch: wie wir wurden, was wir waren

1988, 29.Mai; es sind etwa 800 Hamburger im Stadion des SSV Ulm (bei insgesamt 2.500 Zuschauern) – in der 29 Minute tankt sich André Golke auf der linken Seite durch, Dirk Zander war von der Mittellinie aus losgestartet, bekam den Ball in etwa 25 Metern vor dem Tor zugepaßt.
Zander sagte später, er hätte nicht mehr weiterlaufen können, deswegen hätte er einfach mit seinem starken linken Fuß abgezogen...dann blieb er stehen und schaute auf den Ulmer Keeper Richter; der hatte keine Chance und so senkte sich dieser sagenumwobene Schuß ins Ulmer Tor und bescherte dem FC St. Pauli seinen zweiten Aufstieg in die 1. Bundesliga – damit steht das Happy End am Anfang der Geschichte.
Knappe zehn Jahre zuvor sah es etwas anders aus; ein von Dilettanten geplanter erster Versuch im Oberhaus, der zuerst mit einem sportlichen und ein Jahr später auch mit einem finanziellen Desaster endete; Lizenzentzug und Zwangsabstieg, trotz guter Perspektive in der 2. Liga fand man sich plötzlich in der Amateur-Oberliga wieder.
Und das mit einer Mannschaft, die fast nur aus A-Jugendlichen und Amateuren bestand.
Nachdem das alte Präsidium ausgetauscht worden war, waren es die neuen Leute am Ruder, vor allem Wolfgang Kreikenbohm, die den Verein überhaupt am Leben erhielten.
Delmenhorst statt Dortmund sollte uns fünf Jahre lang erhalten bleiben; 80/81 wurde uns der mögliche Aufstieg wegen der Zusammenfassung der zwei zweiten Ligen in eine versagt, 82/83 versagte die Mannschaft in der Aufstiegsrunde.
Damals verloren sich zu Drittligazeiten im Schnitt etwa 2.000 Zuschauer am Millerntor und zudem hatte der FC St. Pauli damals ein Gewaltproblem – eine Gruppe von Fans bezog immer hinter dem gegnerischen Tor Stellung; Bierflaschenwürfe waren keine Seltenheit...damals gab es noch keine Fangzäune und keine Plastikbecher.
Was es damals gab – einen Retter...den ersten: hatten Werner Prokopp und Kuno Böge überhaupt eine Mannschaft aufstellen können, gab es nun eine Fördergruppe, die ein wenig Geld für neue Spieler locker machte und seit dem 21.03.82 auch einen neuen Trainer, den ehemaligen dritten Torwart Michael Lorkowski.
Ältere Spieler gingen, dafür kamen neue Leute...Thomforde, Studer, Golke, Oldenburg zu solchen wie Bargfrede, Dahms, Gronau oder Philipkowski, die schon länger da waren und 1984 war es denn so weit:  der Verein stieg wieder in die 2. Bundesliga auf.
Ein Abenteuer, aber diesmal wenigstens ein solide finanziertes; der Verein ging keine finanziellen Risken ein...drei Spieler aus dem damaligen Kader hatten überhaupt schon mal zweite Liga gespielt und so verwundert es vielleicht auch nicht, daß die Mannschaft sofort wieder abstieg, allerdings hatte sich der Zuschauerschnitt schon quasi verdoppelt.
In diesem Jahr (woran erinnert uns das) machte Lorkowski auch seinen DFB-Trainerschein, zusammen mit Willi Reimann, damals Trainer bei Altona 93 und Helmut Schulte, ehemals Amateur-Fußballer bei Viktoria Köln und diplomierter Sportlehrer.
Lorkowski holte Schulte ans Millerntor, ansich als Verteidiger, doch weil das Präsidium vergaß, eine Spielgenehmigung zu beantragen, kam Schulte auf eine ABM-Stelle als Jugend Koordinator und Co-Trainer für damals 4.000 DM brutto.
Die Saison 85/86 wurde zwar kein Spaziergang, aber ein Durchmarsch; Spieler wie Nogly und der zurückgekehrte Dietmar Demuth stabilisierten die Abwehr und vorne machte Sonny Wenzel seine 23 Kisten; in der danach folgenden Aufstiegsrunde marschierte St. Pauli quasi souverän durch und stand schon am vorletzten Spieltag als Aufsteiger fest, ein souveränes 3:0 gegen Rot Weiß Essen, bei dem schon 9.100 Zuschauer anwesend waren.
Das Publikum war zwar im Lauf der Zeit gewachsen, hatte sich allerdings noch nicht so sehr verändert im Unterschied zu anderen Vereinen...das sollte sich ändern.
Am 08.06.1986 spielte der FC gegen den ASC Schöppingen in der Aufstiegsrunde vor 5.200 Zuschauern, draußen fand zu gleicher Zeit der berühmt-berüchtigte „Hamburger Kessel“ statt, bei dem die Polizei 860 Atomkraftgegner auf dem Heiligengeistfeld, einen Bierflaschenwurf vom Stadion entfernt umzingelte, ihnen die Zunahme von Flüssigkeiten und Nahrung und den Gang zur Toilette bis etwa um Mitternacht verwehrte...grundsätzlich wären alle Demonstranten Sympathisanten der RAF gewesen, so die Rechtfertigung der Einsatzleitung der Polizei – mit dem gleichen Argument wurden auch immer wieder Angriffe auf die besetzten Häuser an der Hafenstraße inszeniert und legitimiert.
Was den Verein anbelangte, so gab es immer Durchmischungen mit dem großen Rivalen dem HSV, man kam von da, man ging dorthin und man saß zusammen...die Rivalität war rein sportlicher Natur; das sollte sich nun so langsam ändern, das Sportliche verlegte sich auf eine eher ideologische Basis – bestes Beispiel war das letzte Saisonspiel 86, bei dem Lorkowski sich Richtung Holstein Kiel verabschiedete. Sein Nachfolger als Trainer stand mit Willi Reimann bereits fest, aus der Sporthochschul-Connection; Reimann wurde allerdings von den Fans mit „Willi, du Arschloch!!!“ Rufen begrüßt, denn schließlich war er ein ehemaliger HSV-er.  
Zum aktuellen Kader kamen damals vor allem die Herren Trulsen und Zander hinzu und dieses Mal gelang dem Verein quasi schon fast die Sensation – dümpelte man in der ersten Saisonhälfte noch im Mittelfeld herum, so kam man am 26. Spieltag, nach einem 2:1 bei den Stuttgarter Kickers erstmals auf einen Aufstiegsplatz und gab den auch nicht mehr her.
Das Manko, man war nur Dritter und damals gab es noch die Relegation; sprich man mußte gegen den Drittletzten der Bundesliga um den Platz an der Sonne spielen.
Doch damals kamen schon statt der kalkulierten 3.500 Zuschauer im Schnitt mehr als 8.000 ans Millerntor; 18.500 wollten das Rückspiel im Aufstiegskampf sehen, obwohl der FC das Hinspiel in Homburg 1:3 verloren hatte trotz des Führungstors von Fred Klaus.
In jenem Rückspiel gelang zwar ein Sieg, aber leider nur ein 2:1, ein Tor zu wenig, das ein Jahr weiter zweite Liga bedeutete.
Der Goalgetter Wenzel schaffte zwar nur 7 Tore in der regulären Saison; mit 15 Treffern sprang damals allerdings ein Altbekannter in die Bresche; der Gerber-Franz bei seinem dritten Besuch am Millerntor, nachverpflichtet für 30.000 DM von Hannover 96 (im Folge- dem Aufstiegsjahr, sollte Wenzel 16 Tore schaffen; Gerber schied wegen einer Verletzung schon frühzeitig aus und wurde Sportinvalide)
Nun kommt jene Saison, die das Glücksgefühl bedeutete, die uns hinführt zum Ende und zum Anfang der Geschichte.

Der Kader 87/88
Tor:  Ippig, Thomforde
Abwehr:  Demuth, Duve, Kock, Olck, Studer, Trulsen, Ulbricht, Zander
Mittelfeld:  Bargfrede, Beermann, Gronau, Jensen, Timm
Angriff:  Dahms, Gerber, Golke, Klaus, Koy, Pfennig, Wenzel
Trainer:  Willi Reimann bis 09.11.1987  -  Helmut Schulte ab 11.11.1987

Der FC St. Pauli entwuchs der 2. Liga, stand nur am 2. Spieltag und zu einer Schwächephase zum Ende der Hinrunde nicht auf einem Aufstiegsplatz.
In jene Phase fiel auch damals einer der kuriosesten Trainerwechsel der Fußballgeschichte.
Nicht, daß Reimann seinen Job etwa schlecht gemacht hätte – er machte ihn vielleicht sogar etwas zu gut und weckte so die Begehrlichkeiten des großen Nachbarn aus Bahrenfeld, der damals in einer schweren Krise steckte.
Deren Trainer Josip Skoblar hatte die Truppe heruntergewirtschaftet, so suchte Manager Magath nach einer Alternative und rief seinen alten Kumpel aus Landesmeistercupsieger Zeiten an...Reimann, der bei den Fans immer schon im Verdacht gestanden hatte, eine verkappte Rothose zu sein, bat um die Freigabe für einen Wechsel.
Und der FC St. Pauli, klamm wie immer, stimmte zu, denn der HSV bot – ein Novum im deutschen Profifußball – eine Ablöse: 600.000 DM.
Das Ganze vollzog sich binnen zwei Tagen; so schnell war kein neuer Trainer zu bekommen
und so fragte der Präsident Dr. Paulick den Co-Trainer, ob er sich zutraue, das Amt zu übernehmen...Helmut Schulte reagierte mit einem netten Vergleich des Trainerassistenten mit dem des amerikanischen Vizepräsidenten „auch der muß bereit sein, binnen einen Tages das mächtigste Land der Welt zu regieren“ und wurde so der neue Chef.
“Eine Übergangslösung bis zur Winterpause; dann verpflichten wir einen interessanten Mann, der sich uns aufdrängt.“ kommentierte Manager Schorsch Volkert.
Heißeste Kandidaten waren damals Franz Brungs, Horst Heese und Horst Hrubesch ...bekanntermaßen auch eine Rothose, woran man ermessen kann, daß zu damaliger Zeit zwischen den zwei großen Hamburger Vereinen zwar Rivalität, aber keinesfalls Feindschaft herrschte (Schorsch Volkert, war schließlich auch eine Ex-Rothose).
Brungs war bei Hessen Kassel unabkömmlich, die beiden anderen Kandidaten zauderten und so wurde aus der Übergangs- eine Dauerlösung.
Schulte siegte gleich in seinem ersten Spiel als Chef mit 6:1 in Oberhausen, beendete damit die Mini-Krise und führte das Team zu jenem Tag nach Ulm...schon ein Punkt hätte zumindest das sichere Erreichen der Relegation bedeutet nach dem Sieg im letzten Heimspiel gegen Oberhausen (vor „nur“ 14.200 Zuschauern).
Als Schiri Kröger nach 90 Minuten abpfiff, waren es zwei und Platz Zwei in der Tabelle.
Die mitgereisten Fans erklimmen die Zäune, stürmen das Spielfeld.
Als die Mannschaft dem Ulmer Trubel endlich entkommen kann und dann in Hamburg landet, geht es gerade so weiter; über 1.000 Fans erwarten die Mannschaft am Flughafen und im Autokorso geht es zur Reeperbahn und in die Deichstraße zum Saitensprung, wo die Aufstiegsfeier im Mannschaftskreis stattfinden soll...nur daß trotz Ordnungsdienst auch zahlreiche Fans mit Einzug in das Lokal halten.
Noch eine relativ bescheidene Veranstaltung im Vergleich zu dem, was bei späteren Aufstiegsfeiern auf der Reeperbahn abgehen sollte, aber vielleicht der wichtigste Schritt und Einschnitt in der Vereinsgeschichte (gut...ich könnte auch noch andere nennen, was das rein sportliche anbelangt).
Der Verein hatte sich gewandelt, weil auch der Stadtteil sich am wandeln war und auch das Publikum; in das Schmuddelviertel für See- und arme Leute zogen immer mehr junge Leute ein und aus dem Amüsier- wurde langsam in den 80er Jahren ein Kulturviertel und mit beiden Entwicklungen zog auch die Politik wieder in das Arbeiterviertel.
Eine damalige Studie sagte aus; daß der Spaß und Unterhaltungscharakter einer Sportveranstaltung den Zuschauern wichtiger sei als das Erleben von Sportstars...wichtig seien 1. Spaß haben – 2. Spannung erleben – 3.  Geselligkeit finden – 4. begeistert werden... Stars hatte de FC im landläufigen Sinne nun wirklich keine
Und wer sich für Fußball als Unterhaltung interessierte, der war in der barocken Atmosphäre des Millerntors jedenfalls besser aufgehoben als in der seelenlosen Betonschüssel des HSV in Bahrenfeld mit seinen vielen Fans, die Spaß und Spannung damals eher als Erlebnis in der „dritten Halbzeit“ interpretierten.
Die „neuen Bewohner“ des Viertels brachten das Politische mit ins Stadion, getragen aus dem Umfeld des Hamburger Kessels, getragen auch aus der Hafenstraße; auf jeden Fall ein eher linksorientiertes Publikum im Unterschied zu dem, was andere Vereine zu der Zeit zu bieten hatten, deren Fans bestenfalls unpolitisch waren.
Der FC St. Pauli, der Stadtteilverein, der immer zu den Großen hatte dazugehören wollen, war nun
















Gegner
Heim
Torschützen
Ausw.
Torschützen
Union Solingen
1:0
Olck
3:0
Dahms, Wenzel, Dieckmann (ET)
VfL Osnabrück
1:1
Wenzel
0:1
-/-
1. FC Saarbrücken
2:0
Wenzel (2x)
2:0
Golke, Zander
SpVgg Bayreuth
3:1
Wenzel, Klaus, Zander
3:1
Wenzel, Zander, Klaus
Alemannia Aachen
1:1
Zander
0:1
-/-
Kickers Offenbach
3:0
Zander, Wenzel, Gronau
1:3
Wenzel
Fortuna Köln
5:1
Frenken (ET), Golke, Wenzel, Zander, Golke
0:2
-/-
Rot Weiß Essen
4:2
Zander, Wenzel, Zander, Trulsen
2:2
Zander, Dahms
Fortuna Düsseldorf
2:2
Duve, Zander
0:0
-/-
BLV 08 Remscheid
0:0
-/-
1:3
Gronau
SV Meppen
2:0
Wenzel, Zander
1:1
Bargfrede
Arminia Bielefeld
2:0
Zander (2x)
1:0
Golke
Wattenscheid 09
3:1
Zander, Bargfrede, Zander
0:1
-/-
Darmstadt 98
3:2
Bargfrede (2x), Wenzel
0:0
-/-
Stuttgarter Kickers
0:2
-/-
1:2
Wenzel
SC Freiburg
1:1
Dahms
1:1
Golke
Blau-Weiß 90 Berlin
1:0
Gronau
2:2
Golke (2x)
Rot Weiß Oberhausen
2:0
Zander, Bargfrede
1:6
Klaus, Golke, Klaus, Wenzel, Gronau, Klaus
SSV Ulm
4:3
Duve, Wenzel, Wenzel, Golke
1:0
Zander

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