Sonntag, 23. März 2008

Die gute Seite




Schade eigentlich...man hätte sich in diesem Heft so vielen schönen Dingen widmen können: dem Klassenerhalt, den wir erreichten, indem wir ohne Sturm stürmten und der uns nun einen hoffnungsfrohen Blick in die Zukunft wagen ließe.  Zwanzig Jahre ist’s erst her, da stiegen wir zum zweiten Mal in die Bundesliga auf, auch mit einer Mannschaft, die sich quasi aus dem Amateurlager hochgedient hatte.
Oder man hätte viel über das sicher anstehende schwarz-rot-goldene Sommermärchen schreiben können, wenn wir uns endlich für die Schmach von Cordoba rächen können (auch schon dreißig Jahre her).
Doch der Mensch ist nicht gut und die Welt ist nicht schön; so müssen wir uns leider wieder mal mit den unschönen Dingen des Lebens befassen und unserem Ruf als ewige Nörgler gerecht werden.
Der durchschnittliche Übersteigerleser, das haben wir im letzten Heft gelernt, ist 40,7 Jahre alt, kann sich also noch an jene Jahre lebendig erinnern, als wir mal auf dem Weg waren, aus diesem Verein den etwas anderen Verein zu machen.
 Das ist er immer noch, allerdings inzwischen mit der Betonung auf ETWAS und nicht mehr auf ANDERS...
Indem wir an dem anderen Verein bastelten, erhielt unser Tun auch seine Legitimation per se, denn St. Pauli-Fan zu sein, Anhänger und Mitglied dieser Community, bedeutete ja, auf der richtigen, der guten Seite zu sein...friedlich, fröhlich, farbenfroh; weltoffen, tolerant, kreativ
Ein Mythos, leider...und er bröckelt, auch leider, so wie der Mythos vom Punker neben dem Bänker.
So wie der Verein immer ein Teil des Viertels war, in dem er liegt so wandelt sich auch der Verein, wie das Viertel sich wandelt.
Zu St. Pauli zu gehen, ist wie in St. Pauli zu leben...es ist hip und zwar für eine ganz andere Klientel als wir sie früher hatten; die Bänker halten Einzug in unsere neuen schönen Tribünen und die Latte-Macchiato-Gesellschaft drängt in die Kurven...auf dem Weg zur Krabben- und Lachsbrötchen Mentalität.
Inzwischen fliegen aus den VIP-Bereichen mehr Bierbecher Richtung Spielfeld als aus den normalen Kurven – was auch daran liegt, daß in den anderen Bereichen ja häufig kein Vollbier mehr ausgeschenkt werden darf und sich so die Spaßgesellschaft in die Separees verzieht, denn Fußball und Zitronenbier macht halt deutlich weniger Spaß.
Aber auch sie sind inzwischen St. Pauli; ja auch sie gehören zu den Guten, würden sie sagen...mit ihren 50 € pro Karte finanzieren sie, daß der Mythos lebt.
Sie haben ebenso wenig miterlebt, wie dieser Mythos entstanden ist, wie jene relativ junge Klientel, die sich inzwischen auch in jenem anderen Teil unserer schönen neuen Südtribüne wiederfindet und die leider teilweise den Mythos vom weltoffenen toleranten Verein kontrakariert. 
Ja, es gibt sie wieder, die Gewalt auf St. Pauli, in St. Pauli und um das Stadion und leider sind es nicht die Bösen, die anderen und die Bullen, sondern es sind immer mehr auch unsere Fans und auch ihre Legitimation beziehen sie daraus, daß sie ja auf der guten Seite sind.
Viele sagen, das hat es immer gegeben – ja, hat es wahrscheinlich, genauso wie es immer Bänker gegeben hat und die vielleicht schon St. Pauli Fans waren, als das bunte Volk noch mit der Rassel um den Tannenbaum gehüpft ist.
Vielleicht haben wir uns zu lange in unser Selbstverständnis gekuschelt und all diese Dinge um uns herum verdrängt – so wie das Fernsehen bei jeder Übertragung vom Millerntor immer denselben 70 jährigen geschminkten Don Quichotte Verschnitt auf dem Zaun zeigt und so suggerieren will: DAS ist St. Pauli...nein, ist es nicht.
Das ist AUCH St. Pauli wie auch die anderen Sachen, Stöckelschuhe und Seidenkleider in Separees beim Prosecco – Seidenschals und Schlägereien.
Und auch du, Bruder Cornelius, der Retter – auch er legitimiert natürlich all sein Tun damit, daß er auf der guten Seite ist...er tut alles für den Verein; womit sich die Frage stellt, was der Verein eigentlich ist und wem er gehört
Deswegen müssen wir uns auch damit beschäftigen und können uns nicht den schönen Dingen widmen...wenigstens müssen wir unser Zitronenbier nicht mit Plastikgeld bezahlen.

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