Sonntag, 17. Juni 2018

grindelwanderung 1



im jahr der machtübernahme zählte die jüdische gemeinde in hamburg 19.410 mitglieder, die sich
überwiegend in bestimmten vierteln ansiedelten.
es gab kleinere jüdische gemeinden in den städten wandsbek und harburg,
die zweitgrößte befand sich in altona rund um das schlachterviertel (beim fischmarkt) - ein großteil
der juden in alt-hamburg siedelte jedoch nach aufhebung der torsperre 1861 hier im grindelviertel,
das zu den stadtteilen rotherbaum und harvestehude gehört.
in beiden stadtteilen lebten 47% der hamburger juden.
man mag die bedeutung allein daran ermessen, daß von 5.378 bisher verlegten stolpersteinen allein 1.046 hier in rotherbaum liegen und 763 in harvestehude.
1937 zählte die gemeinde noch 15.308 mitglieder, als die auswanderung 1941 verboten wurde, waren es offiziell noch 7.547 (3.049 männlich, 4.498 weiblich)
nach dem ende des nazi-regimes lebten noch 647 juden in hamburg -
es gibt 8.877 namentlich ermittelte opfer der shoa.
die hier lebenden juden waren überwiegend der mittelschicht zuzuordnen
89% gehörten zur gruppe der selbstständigen, angestellten und beamten,
42% der juden waren selbsständig (was einen ganz praktischen grund hatte - arbeiter mußten am sonnabend - dem sabbat arbeiten).
die meisten jüdischen unternehmen verblieben jedoch in anderen vierteln.




1.   CARL VON OSSIETZKY   
grindelallee  1
hier wohnte bis 1920 der schriftsteller, publizist und pazifist carl von ossietzky.
berühmt wurde er ab 1927 als herausgeber der weltbühne - wegen eines artikels über die geheime aufrüstung der reichswehr wurde er 1931 zu 18 monaten haft verurteilt.
nach der machtübernahme durch die nazis lehnt er eine flucht ab - am tag des reichstagsbrandes wird er verhaftet und mißhandelt.
danach kommt er zunächst ins kz sonnenburg, ab 1934 ins kz esterwegen.
im jahr 1935 durfte der schweizer carl jacob burckhardt vom roten kreuz das KZ besuchen und auch carl von ossietzky treffen, den er als “zitterndes totenblasses etwas, ein auge geschwollen, die zähne scheinbar eingeschlagen” beschrieb.
1936 wurde er unter strenger bewachung mit einer schweren tbc ins staatskrankenhaus
berlin eingeliefert. im november wird ihm rückwirkend für 1935 der friedensnobelpreis zuerkannt...er darf den preis zwar annehmen, aber nicht zur preisverleihung nach oslo reisen (hitler hatte ihm die freiheit versprochen, wenn er den preis ablehnt) .
danach ordnete hitler an, daß kein deutscher mehr einen nobelpreis entgegen nehmen darf.
am 4. mai 1938 stirbt ossietzky in der spezialklinik berlin-moorend, immer noch unter strengster bewachung.
2   PLATZ DER JÜDISCHEN DEPORTIERTEN
moorweidenstraße 36     
hier befindet sich das größte logenhaus der "provinzialloge von niedersachsen", das stattlichste freimaurerhaus deutschlands.
#1935 wurden die freimaurer unter den nazis verboten und das haus fiel in den staatsbesitz, der das haus für 150.000 RM erwarb
am 25.10.41 begann die systematische deportation der hamburger juden - in insgesamt 17 tansporten wurden 5.848 personen deportiert, von denen nachweislich 5.296 ermordet wurden.
zählt man diejenigen dazu, die aus ihren zufluchtsorten deportiert wurden (niederlande, frankreich etc) starben wohl etwa 10.000 juden in der shoa.
der jüdische religionsverband hatte, wenn ein deportationszug anstand,  unter aufsicht der gestapo namenslisten zu erstellen - die genannten bekamen dann ihren “ausreisebescheid” per einschreiben und hatten sich am tag vorher hier einzufinden.
der jüdische religionsverband stellte in dem haus doppelstockbetten auf, was bei der großen zahl von menschen natürlich bei weitem nicht ausreichte, zudem waren die sanitären anlagen vollkommen unzureichend.
am nächsten morgen wurden die menschen dann registriert, auf lkw verladen und zum hannoverschen bahnhof verbracht, zunächst in die ghettos nach lodz, minsk und riga, nach der wannsee-konferenz dann direkt nach auschwitz, bzw die älteren nach theresienstadt.
nach den großen deportationen wurde das haus als schlafstatt für ausländische zwangsarbeiter genutzt.


DEPORTATIONEN AUS HAMBURG:   


20.05.40  910 Sinti und Roma nach Belzec - Zahl der Opfer nicht bekannt
25.10.41  1034 Juden nach Lodz - 1016 bekannte Opfer
08.11.41  988 Juden nach Minsk - 952 bekannte Opfer
18.11.41  987 Juden nach Minsk - 977 bekannte Opfer
06.12.41  753 Juden nach Riga - 726 bekannte Opfer
11.07.42  300 Juden nach Auschwitz - 292 bekannte Opfer
15.07.42  926 Juden nach Theresienstadt - 882 bekannte Opfer
19.07.42  771 Juden nach Theresienstadt - 669 bekannte Opfer
12.02.43  24 Juden nach Auschwitz - 21 bekannte Opfer
24.02.43  51 Juden nach Theresienstadt - 36 bekannte Opfer
10.03.43  50 Juden nach Theresienstadt - 38 bekannte Opfer
11.03.43  328 Sinti und Roma  nach Auschwitz - 168 bekannte Opfer
24.03.43  50 Juden nach Theresienstadt - 48 bekannte Opfer
05.05.43  51 Juden nach Theresienstadt - 32 bekannte Opfer
09.06.43  80 Juden nach Theresienstadt - 66 bekannte Opfer
23.06.43  109 Juden nach Theresienstadt - 91 bekannte Opfer
19.01.44  61 Juden nach Theresienstadt - 20 bekannte Opfer
18.04.44  26 Sinti und Roma nach Auschwitz - Zahl der Opfer nicht bekannt
13.01.45  19 Juden nach Theresienstadt - Zahl der Opfer nicht bekannt
14.02.45  194 Juden nach Theresienstadt - 4 bekannte Opfer
MACHT eine Gesamtzahl von 7.692 Deportierten  
bei den Opferzahlen wurden nur die Zahlen der bekannten Opfer aufgelistet...von den 7.692 Deportierten kamen also mindestens 6.129 Menschen ums Leben - die wirkliche Zahl dürfte deutlich höher liegen…
daß die Zahl von der vorher genannten abweicht, liegt daran, daß in Hamburg quasi die gesamten Deportationszüge aus Norddeutschland gebündelt wurden, also wurden von hier aus auch Juden aus Schleswig Holstein und Bremen


3. NEUE DAMMTOR SYNAGOGE
campus der universität - beneckestraße 2  
1895 wurde mit dem bau einer neuen großen synagoge begonnen, nachdem die am jungfernsteig 1887 durch einen brand zerstört worden war.
die synagoge wurde im orientalischen stil errichtet und mit farbigen ornamenten versehen, sie lag in einem hinterhof hinter wohnhäusern, nur durch einen schmalen zugang zu erreichen, die front war mit farbigen ornamenten verkleidet....die synagoge besaß 500 plätze (300 für männer, 200 für frauen)
1938 wurde die synagoge während der pogromnacht verwüstet, wurde jedoch durch spenden wieder soweit hergerichtet, daß hier bis 1943 noch gottesdienste der aschkenasischen gemeinde stattfanden.
1943 zerstörten britische bomber das gebäude.  
1943 diente der platz vor der synagoge auch als sammelstelle für die deportationen.  

4 WANDBILD JÜDISCHES LEBEN
campus der universität, von melle-park 9
1995 von cecilia herrero errichtetes wandbild, um an das ehemalige jüdische leben am grindel zu erinnern.

5. CALMANNSCHE FRAUENKLINIK
schlüterstraße / ecke johnsallee   
das eigentliche israelitische krankenhaus wurde 1843 in der eckernförder str. gegründet (gegenüber dem st. pauli eck - heute ortsamt st. pauli).
1939 wurde das gebäude als kriegslazarett beschlagnahmt und das israelitische krankenhaus zog um in die calmannsche frauenklinik.
der besitzer und gründer der privatklinik, ascher adolph calmann, verkaufte das haus 1938 dem diakonissenhaus siloah und konnte noch 1940 auswandern.
hier hielten die letzten 20 in hamburg noch als "krankenbehandler" zugelassenen jüdischen ärzte ihre sprechstunden ab.
1942 wurde das krankenhaus geschlossen und mußte nun in das hospital im judenhaus schäferkampsallee 25-29 umziehen.

6. IMMIGRATION
stolperstein heinrich poll -binderstr. 24   
heinrich poll (geb. 1877 in berlin) war arzt am UKE, anatom und ein bedeutender eugeniker, dessen zwillingsforschung teile von dem vorwegnahm, an dem später josef mengele arbeitete - seine theorien zur erbgesundheit kamen dem ziemlich nahe, was später die nazis fordern sollten (zwangssterilisation von erbkranken).
er selbst war 1899 zum protestantismus konvertiert, galt aber nach den nürnberger gesetzen 1935 als volljude und verlor so seine stelle nach einer denunziation durch einen kollegen. erst 1939 konnten kollegen ihm eine stelle an der universität lund in schweden vermitteln, dort starb er kurz darauf an einem herzinfarkt

bis 1937 waren etwa 4.000 juden aus hamburg ausgewandert, als das noch relativ einfach möglich war, die meisten in die usa, nach israel, nach frankreich oder in die niederlande.
bis 1941 immigrierten etwa weitere 7.500 juden, wobei die auswanderung einer ausplünderung durch die reichsfluchtsteuer einer ausplünderung gleichkam.
insgesamt nahm der ns staat von 1933 bis 1941 941 mio RM an reichsfluchtsteuer ein.
zudem mußten juden ihr gesamtes umzugsgut deklarieren - auf alle anschaffungen ab 1933 mußte eine abgabe gezahlt werden, da diese anschaffungen so bewertet wurden, als seien sie zur kapitalflucht angeschafft worden.
wem die flucht nach schweden oder israel / USA gelungen war - für ganz wohlhabende war shanghai noch ein wunschziel - hatte in diesem falle glück, gerade jene, die nach frankreich, belgien oder in die niederlande flüchteten, hatten zumeist deutlich weniger glück...anne frank aus frankfurt ist nur eines der beispiele.
bis 1937 wanderten allerdings auch über 1.000 juden aus umliegenden gemeinden nach hamburg ein, weil bis 1938 die lage in hamburg noch relativ entspannt war im vergleich zum leben in kleineren gemeinden.

6.  BORNPLATZ-SYNAGOGE
joseph-carlebach platz           
die zweite große synagoge der deutsch-israelitischen gemeinde, die das gelände 1902 erworben hatte - der bau wurde 1904 begonnen und 1906 wurde das gebäude eingeweiht - die synagoge war die größte in europa.
sie hatte 1.200 plätze, davon 500 für frauen, die kuppel war mit einer höhe von 40 metern weithin sichtbar, bestand aus schwarzem, rotem und weißem marmor mit bronzenen ornamenten.
bereits seit 1930 kam es vor der synagoge immer wieder zu antisemitischen vorfällen, so daß die gemeinde für feiertage polizeischutz beantragte.
1936 nahmen 2.000 menschen und 200 ehrengäste an der amtseinführung des oberrabbiners joseph carlebach teil.
am 9. november 1938 wurde die inneneinrichtung zerstört, zwei tage später feuer gelegt...die synagoge durfte nicht mehr aufgebaut werden.
1939 wurde die gemeinde gezwungen, das gelände an die stadt zurück zu verkaufen und die kosten für den abriß der synagoge zu tragen.
nach 1940 wurde der hochbunker errichtet.
die nazis hatten auf dem platz einen park geplant, nach dem krieg diente der platz der universität als parkplatz, bis er zum 50sten jahrestags des novemberpogroms in seiner jetzigen form umgestaltet wurde.

7. JUDENHÄUSER   
am 6. juli 1938 war die gewerbeordung im reich geändert worden - fortan war juden der handel mit grundstücken und gebäuden untersagt, sie durften sich nicht mehr als makler betätigen und keine haus- und grundstücksverwaltungen mehr betreiben…
die gesamte verwaltung wurde in die hamburger grundstücks-verwaltungsgesellschaft e.v. überführt, was einer zwangsverwaltung jüdischen besitzes gleichkam.
damit konnte nun auch der jüdische grund- und hausbesitz einer schleichenden arisierung unterworfen werden, wobei der rechtsschutz für die (jüdischen) bewohner in diesem falle noch bestand hatte, was sich bald ändern sollte.  
das reichsgesetz "über die mietverhältnisse der juden" von april 1939 hob den mieterschutz und die freie wohnungswahl für juden auf.
juden, die in stiftswohnungen wohnten, wurden in wenigen stiften konzentriert, die anderen stiftungen arisiert - später wurden auch andere jüdische wohnungen konfisziert und die bewohner in wohnungen in diesen judenhäusern zwangseingewiesen.
ein kleiner vorgeschmack auf die ghettos im osten.
das hieß auch, wenn ein deutscher ein auge auf eine wohnung geworfen hatte und er eine begründung vorlegen konnte, warum er diese wohnung "brauchte", konnten juden ausgewiesen werden.
judenhäuser im grindelviertel waren u.a.:
bornstr. 16 und 22
dillstr. 13, 15, 16
heinrich-barth-str. 8, 17, 19III
rappstr. 3, 15
rutschbahn 15, 25a/c
grindelallee 21
insgesamt gab es 60 judenhäuser in hamburg, die meisten logischerweise im bezirk eimsbüttel, zu dem rotherbaum und harvestehude gehören, der rest zumeist in altona.  

8. CARL BELZINGER - SUIZIDE  
bornstr. 18
carl belzinger war selbstständiger kaufmann für strumpfhosen und trikotagen, lebte mit seiner christlichen ehefrau lilly zunächst in der isestr.., der parkallee, dann in der bismarckstr. und schließlich hier in einer erdgeschoßwohnung.
belzinger war schwer zuckerkrank, erhielt noch sonderlebensmittelrationen, weil er in einer privilegierten mischehe lebte
seine frau war nach mehreren herzanfällen von winter 1940 bis frühjahr 1941 im eppendorfer krankenhaus.
am 23.09.42 erhielt carl den bescheid, er und seine frau müßten ihre wohnung räumen - die situation in den sogenannten judenhäusern in der nähe dürfte ihm bekannt gewesen sein, sein bruder war zudem am 19. juli 1942 nach theresienstadt deportiert worden - während seine frau noch besorgungen machte, erhängte er sich im treppenhaus.
da selbstmorde von der polizei als "unnatürlicher todesfall" registriert wurden, ist es schwierig, die zahl der suizide zu ermitteln, die menschen jüdischen glaubens verübten - offiziellerer lesart zufolge sind 319 suizide registriert, darin enthalten 190 für die zeit der deportationen ab 1941

9. ALFRED PEIN - AKTION ASR
bornstr. 22           
mit der aktion "arbeitsscheu reich" wurden im april und juni 1938 mehr als 10.000 männer verhaftet...das betraf in erster linie obdachlose, bettler, landstreicher, prostituierte, sinti und roma, alkoholiker, menschen mit unbehandelten geschlechtskrankheiten und im juni dann auch juden, die vorstrafen von mehr als vier wochen hatten
1.200 österreichische juden kamen mit der ersten welle ins kz dachau, reichsweit wurden in der zweiten welle 2.300 juden inhaftiert. Ihre Vorstrafen gingen nicht allein auf „normale Delinquenz“ zurück, sondern beruhten oftmals auf verfolgungsspezifischen Delikten wie zum Beispiel Devisenvergehen oder gingen auf marginale Delikte wie Übertretung von Verkehrsvorschriften zurück. Ins Konzentrationslager Dachau wurden 211 jüdische Häftlinge eingeliefert. 1256 jüdische Männer kamen ins KZ Buchenwald und 824 ins KZ Sachsenhausen, wo sie brutalen Schikanen ausgesetzt waren.
alfred pein war ledergroßhändler gewesen, mußte den betrieb aber schon 1933 aus wirtschaftlichen gründen aufgeben...im zusammenhang mit dieser firmen-liquidation geriet pein ins visier der justiz, was im rahmen der AASR zu seiner verhaftung führte.
pein kam ins kolafu - einer anordnung zufolge wurden alle, die älter als 50 waren, nach wenigen tagen wieder freigelassen...pein war 48, blieb länger in haft und wurde nach seiner freilassung von der gestapo nach sachsenhausen verschleppt...nach seiner freilassung im frühjahr 1939 mußte er wochenlang mit erfrorenen fingern im krankenhaus behandelt werden.
nachdem seine ehefrau, eine jüdische konvertitin, sich von ihm getrennt hatte, bemühte sich seine tochter inge um die ausreise.
pein bekam eine schiffspassage von genua nach shanghai, fuhr mit dem zug nach genua...am 1. september, als das schiff ablegen sollte, brach der WKII aus, alle passagiere wurden wieder in ihre heimatländer transportiert.
in hamburg zurück lernte er emmy süss kennen, heiratete sie und zog mit ihr und ihrer mutter in zwei zimmer einer dreizimmerwohnung, 2. OG - die zimmer waren am 8.11.41 frei geworden, weil das ehepaar leipheimer mit sohn rolf nach minsk "ausgesiedelt" worden waren. am 11. juli 42 wurde das ehepaar pein, emmis mutter rachel und weitere neun personen nach auschwitz deportiert, wo alle drei ermordet wurden.

10. TALMUD-TORA-SCHULE
grindelhof 30      
die TTS wurde 1805 gegründet und war die größte jüdische schule norddeutschlands, zunächst war sie an der elbstraße gelegen, dann in den kohlhöfen - 1911 zog die schule in dieses gebäude um, da vorwiegend mit spenden des bankiers max warburg erbaut worden war.
die einst strenge religionsschule wurde unter ihren schulleitern joseph goldschmidt und joseph carlebach reformiert, so daß sie 1892 zur realschule und 1932 zur oberrealschule wurde.
1932 gingen etwa 50% aller schulpflichtigen jüdischen kinder auf diese schule
carlebach wurde 1926 oberrabiner in altona (1936 dann hier am bornplatz), sein nachfolger wurde arthur spier.
nach der machtübernahme durch die nazis wurden auch mädchen für die oberstufe zugelassen und spier ließ nun handwerkliches und landwirtschaftliches wissen vermitteln, um schüler auf die auswanderung nach israel vorzubereiten.
nach dem novemberpogrom wurde er verhaftet und mißhandelt, bald aber wieder freigelassen und erreichte die freilassung seines lehrerkollegiums, das nach sachsenhausen verschleppt worden war.
arthur spier organisierte danach die kindertransporte nach england, von einer reise nach england kehrte er 1939 nicht zurück, sondern wanderte in die usa aus, sein nachfolger wurde alberto jonas.
april 1939 wurde die TTS mit der israelitischen töchterschule zusammengelegt und mußte im september in deren gebäude umziehen (ggü messehallen)
mit dem verbot aller jüdischen schulen mußte auch die schließen, die meisten schüler und lehrer wurden deportiert; nur 76 schüler und drei lehrer überlebten.
jonas und seine frau wurden 1942 deportiert; er starb in theresienstadt, seine frau wurde in auschwitz ermordet
nachdem die stadt das gebäude von der von der jewish claims conference erworben hatte und es für die FHS hamburg genutzt hatte, wurde das gebäude 2004 wieder an die jüdische gemeinde zurückgegeben und 2007 wieder als reguläre schule eröffnet.

11.  HEINZ LEIDERSDORF   
TTS, grindelhof 30   
geboren 1906 in amt neuhaus, schule in lübeck und lüneburg, studium der biologie und chemie in köln, marburg und hamburg, 1933 referendar und hilfslehrer an der TTS, nebenbei nachhilfelehrer, wohnte bei seiner mutter in rahlstedt
seit 1928 kpd, 1931 rote studentengruppe, 1931 als trotzkist aus der kpd ausgeschlossen - mitbegründer der linken opposition der kpd, aus der nach der machtübernahme der nazis die internationalen kommunisten deutschlands hervorgingen - 11/35 mit 80 mitgliedern der IKD verhaftet und ins kolafu gebracht - 1936 wegen "vorbereitung zum hochverrat" zu neun jahren zuchthaus verurteilt - fuhlsbüttel und oslebshausen (bei bremen).
01/1943 wurden 14.700 zuchthäusler auf anordnung des justizministers der ss übergeben und in kzs gebracht, jüdische häftlinge idr nach auschwitz, so auch leidersdorf, der am 18.2.43 dort ermordet wurde.

12. WALTER GLOY
grindelhof 40     
hier befand sich die nsdap-kreisleitung hamburg-rotherbaum-harvestehude, wozu auch eimsbüttel gehörte
walter gloy wohnte mitten in diesem viertel, in der heinrich-barth-str. 32, später zog er um: beim schlump und gustav-falke-str.
gloy war seemann, erwarb das offizierspatent und wurde kaptitän zur großen fahrt - im WKI bei der marine eingesetzt, wurde er 1919 arbeitslos.
1925 trat er der nsdap bei und leitete die ortsgruppe rotherbaum, wurde 1931 bürgerschaftsabgeordneter und 1933 kreisleiter in rotherbaum...
wurde  hafenmeister, oberhafenmeister, staatsrat und reichstagsabgeordneter (1936) - 1937 wurde er hauptamtlicher kreisleiter, wobei er - ein fanatischer antisemit, in "seinem judenbezirk" ein enges spitzelsystem aufbaute und eng mit der gestapo zusammenarbeitete, um juden zu denunzieren und zu drangsalieren.
1943 wurde er gaubeauftragter für die evakuierten hamburger / innen in schleswig holstein, nach dem krieg verhaftet, zu 1,5 jahren haft verurteilt, die jedoch mit der u-haft abgegolten waren...gloy versuchte vergeblich, sich vor gericht eine pension als oberhafenmeister zu erstreiten, starb 1953
13. JÜDISCHE LÄDEN
Rappstraße 18, Konditorei Seligmann
vor allem zwei sorten von betrieben kommt im judentum besondere bedeutung zu: bäckereien und metzgereien
bäckereien wegen des berches, des hefezopfes, der am freitag bei dämmerung fertig sein mußte (wegen des arbeitsverbotes am sabbat) -
wer also keine zeit oder keinen ofen hatte, bereitete seinen teig zu, brachte das brot zum bäcker und holte ihn dann vor sonnenuntergang ab.
belegt ist die konditorei seligmann (rapppstr. 18)
aber auch der nichtjüdische bäcker hempel (rutschbahn) hempel fertigte das sabbatbrot an (das mußte ein rabbiner genehmigen)
da juden der verzehr von blut verboten ist, dürfen orthodoxe juden nur fleisch essen, daß von geschächeten tieren stammt...die tiere dürfen vor dem töten nicht betäubt werden - betäubung gilt als verletzung und verletzte tiere sind unrein.
im april 1933 verboten die nazis unter dem deckmantel des tierschutzes das schächten, obwohl das offiziell als ordnungswidrigkeit galt, drohte hermann göring (reichsforst- und reichsjägermeister!!!) jedem “tierquäler” mit kz-haft.
das stellte orthodoxe juden vor immense schwierigkeiten, an koscheres fleisch zu kommen...zu anfang behalf man sich mit importen aus dänemark, wobei man, da die mengen nicht ausreichten, dazu überging, tiere zunächst lebend nach dänemanr zu exportieren und dann das geschächtete fleisch wieder zu importieren.
die alternative dazu war, auf fisch umzusteigen, da das schächtungsgebot sich nicht auf fische erstreckt, sofern der fisch ansich koscher ist und lebendig gefangen wurde.
koschere metzgereien gab es mehrere hier
willy & gustav stoppelmann (heinrich-barth-str. 4)
gerson stoppelmann (dillstr. 16)
h. horwitz (rappstr.), S. Lippmann (bornstraße), a. löwenstein (grindelhof)
daneben gab es spezialläden für koscheres geflügel:
j. hertz (bornstr.), m. ehrlich (grindelhof 55), Eller (rappstraße), p. gelber (rutschbahn)
kolonialwaren gab es u.a. bei elkan (heinrich-barth-str.), j. magnus und läufer (beide rappstr.), grünberg (rutschbahn)



14.  SOHN HOFFMANN  
Rappstr. 16
das wohl jüngste opfer der shoa...
da beide eltern 1941 nach minsk deportiert wurden, kann man davon ausgehen, daß lydia hochschwanger war und ihr sohn im ghetto minsk zur welt gekommen ist und er ermordet wurde, noch bevor er einen namen bekommen konnte

15. CAFÉ LEONAR
grindelhof 57   
das café leonar gibt es hier seit 2008, zunächst am grindelhof 59 beheimatet, seit 2014 in die neuen räumlichkeiten umgezogen nach abriß des alten gebäudes.
benannt ist das café nach der papierfabrik leonar aus wandsbek, die den vorfahren des betreibers gehörte - die familie simmenauer, der die fabrik gehörte, floh 1938 aus deutschland nach frankreich und überlebte unter falschem namen in einem versteck in südfrankreich.
die tochter von walter - 1938 elf jahre alt - sonia zimmenauer kehrte nach deutschland zurück und eröffnete dieses jüdische café...es gibt koscheren wein und kein schweinefleisch auf der karte...viele kulturveranstaltungen und eine umfangreiche jüdische bibliothek.

16. ISRAELITISCHE HÖHERE MÄDCHENSCHULE
bieberstr. 4  
die schule war 1893 mit sieben schülerinnen gegründet worden, noch in einem haus am grindelhof - 1899 waren es bereits 100 schülerinnen, die in die villa umzogen, fast nur töchter der begüterten jüdischen orthodoxie, die sich das hohe schulgeld leisten konnten - allerdings umging man standesdünkel dadurch, daß alle mädchen mit einer schwarzen schürze mit farbiger borte zum unterricht zu erscheinen hatten - an der schule unterrichteten in den "weltlichen fächern" auch christliche lehrer und lehrerinnen
1912 erhielt die schule die anerkennung als lyzeum (die weibliche form des gymnasiums, dessen abschluß den zugang zu universitäten ermöglichte) - was vor allem der vorsteherin fanny philip zu verdanken war.
1931 während der wirtschaftskrise mußte die schule aus finanziellen gründen schließen - fanny philip (29.11.1867) wurde am 19.07.42 nach theresienstadt deportiert, wo sie am 9.1.43 starb.  

17. KAMMERSPIELE UND LOGENSAAL
hartungstraße 9     
Von 1904 bis 1937 fanden im sogenannten Logensaal der Hartungstraße 9 – 11 die Sitzungen der Hamburger jüdischen Freimaurerloge statt. Seit 1918 beherbergte das Gebäude auch die Hamburger Kammerspiele. Durch die zahlreichen Aktivitäten der Loge, wie beispielsweise die Unterstützung aus Osteuropa emigrierter Juden, und daraus folgende Vereinsgründungen, entwickelte sich das Logenheim zu einem Zentrum der jüdischen Gesellschaft und beheimatete seit 1934 den jüdischen Kulturbund.
die kammerspiele boten vielen jüdischen künstlern, die an anderen theatern nicht mehr auftreten konnten, eine möglichkeit zur berufsausübung.
Wegen „staatsfeindlicher Umtriebe“ wurde die Loge jedoch im April 1937 aufgelöst. Nachdem der jüdische kulturbund 1941 verboten wurde, wurden die Kammerspiele geschlossen und das gebäude an die stadt zwangsverkauft -
am 11.07.42 diente dieses gebäude als sammelstelle für 371 juden die deportiert wurden, davon kamen 300 nach auschwitz, von denen 261 ermordet wurden.
Seit 1945 befinden sich hier wieder die Hamburger Kammerspiele. Sie wurden von der jüdischen Schauspielerin und Regisseurin Ida Ehre erneut eröffnet, um diesen Ort nach Kriegsende wieder zu beleben - 1947 wurde hier wolfgang borcherts "draußen vor der tür" uraufgeführt.

18. VEREINIGTE ALTE UND NEUE KLAUS
rutschbahn 11  
Eine Klaus bezeichnet einen Ort für jüdische Studien und Gebete. Mit der am 28. September 1905 eingeweihten Vereinigten Alten und Neuen Klaus im Hinterhof der Rutschbahn 11 stand den Mitgliedern der deutsch-israelitischen Gemeinde eine Synagoge mit Lehrsaal zur Verfügung. Das Lehr- und Studierhaus bot Raum für insgesamt 160 Gläubige, wobei sich die 40 Frauenplätze auf einer vergitterten Empore befanden. Bereits 1910 wurde die Klaus um einen zweiten Studienraum erweitert, in dem Unterricht abgehalten und Talmud- und Torastudien betrieben werden konnten. Im Vorderhaus war seit 1902 der koschere Schlachterladen „Moritz Israel“ untergebracht und 1911 zog dort die jüdische Buchhandlung von Beer Lambig ein.
beim novemberpogrom 1938 wurde das gebäude verwüstet und mußt danach an die stadt zwangsverkauft werden

19.  POLENAKTION - STOLPERSTEINE FAMILIE LAMBIG
rutschbahn 11   
im märz 1938 verabschiedete das polnische parlament  ein gesetz, nachdem allen polen, die länger als fünf jahre im ausland gelebt hatten, die pässe entzogen werden konnten - so wollte man die massenausweisung polnischer juden aus deutschland verhindern.
bevor das gesetz wirksam wurde, wurden 17.000 juden nach polen ausgewiesen...etwa 1.000 in hamburg, sie wurden im gefängnis hütten oder in einer halle zusammengetrieben, und dann ab altona nach osten verfrachtet, wo sie wochen- oder monatelang ohne unterkunft im grenzgebiet dahinvegitierten und nur notdürftig vom roten kreuz versorgt wurden, bevor polen dann doch seine grenzen öffnete und die menschen einreisen ließ.
unter diesen opfern war auch die familie von beer lambig, 1876 in polen geboren, 1907 nach hamburg eingewandert, von beruf toraschreiber und seit 1911 besitzer der buchhandlung in der rutschbahn 11.
einer der prominenten war marcel reich ranicki.
als der in paris lebende jude hersch grynszpan vom schicksal seiner betroffenen eltern (aus hannover) hörte, besorgte er sich am 07.11.1938 einen revolver, betrat die deutsche botschaft in paris und erschoß den deutschen botschaftssekretär von rath, den er irrtümlich für den botschafter hielt. ...am abend des 9. november 1938 verstarb von rath, was auslöser für den “spontanen” volkszorn des november pogroms war.
während des pogroms wurde auch die buchhandlung lambig zerstört und angezündet, wobei die herbeigerufene feuer einzig und allein verhinderte, daß das feuer das ganze haus und angrenzende gebäude vernichtete.
im april 1939, durfte beer lambigs ehefrau pescha noch einmal nach hamburg einreisen und eine kleine auswahl an möbeln und gebrauchsgegenständen aussuchen, die mit einer spedition an den neuen wohnort in polen gebracht werden sollten.
ob die sachen je in polen ankamen, ist unklar.

20. HEINRICH-BARTH-SYNAGOGE
heinrich barth-straße 3-5   
die kleine synagoge war die erste im grindelviertel, 1895 in einer doppelwohnung errichtet, reichte jedoch schon lange nicht mehr aus...
1938 bei der reichspogromnacht "übersehen"
rabbi carlebach initierte 1939 die verschickung der möbel nach schweden...im hafen wurden die möbel zerbrochen, gelangten aber nach stockholm und wurden dort in der jeschurun-synagoge wieder zusammen gesetzt.
ein nachbau (siehe bild) befindet sich im museum für hamburgische geschichte

21. KOLONIAL-EINZELHANDEL HANNS GLÜCKSTADT
Heinrich-barth-str. 6
die entrechtung der jüdischen bevölkerung auf wirtschaftlichem gebiet begann zunächst langsam  - zwar hatte karstadt bereits zum 1.april 1933 alle jüdischen mitarbeiter entlassen, viele unternehmen wechselten ihre jüdischen vorstandsmitglieder aus
am 7. april 33 wurden alle jüdischen beamten entlassen - am selben tag verloren alle jüdischen rechtsanwälte ihre zulassung, am 22. april wurde jüdischen ärzten (und "politisch unzuverlässigen") die krankenkassenzulassung entzogen - allerdings konnten viele zunächst aufgrund des "frontkämpferprivilegs" weiter praktizieren
kulturschaffende wurden, da ein ariernachweis für die zulassung zur reichskulturkammer erforderlich war, 1933 quasi arbeitslos.
da zunächst die vollzeitbeschäftigung im vordergrund stand, waren die maßnahmen gegen jüdische unternehmen noch relativ human - die anweisung, keine jüdischen unternehmen mehr an öffentlichen aufträgen zu beteiligen oder keine wohlfahrtsmarken von jüdischen unternehmen anzunehmen, wurde in "alt hamburg" erst 1937 umgesetzt (in harburg, altona, wandsbek und bergedorf bereits seit 1935)...
bis 1938 konnten juden, die immigrieren wollten, noch relativ faire verträge mit den neueigentümern aushandeln, allerdings konnte der gauwirtschaftsberater (dr. otto wolff - st. pauli-spieler) jederzeit die verträge ändern
1938 gab es noch 1.200 jüdische betriebe in hamburg
ab dem 1. januar 1939 wurde juden das betreiben von einzelhandelsgeschäften und handwerksbetrieben sowie das anbieten von waren und dienstleistungen untersagt, was letztendlich die wirtschaftliche grundlage der bevölkerung zerstörte - die betriebe wurden nun entweder zwangs-arisiert, wenn der gauwirtschaftsberater sie als erhaltenswert ansah oder liquidiert...
1938/39 wurden 282 betriebe arisiert - 343 liquidiert, so wie dieser hier.


arisierte oder liquidierte betriebe 1938/39 (liste nicht vollständig):
-  a. abraham, metallhandel (brahmsallee 16)
-  s. bari, lebensmittel (bornstr. 25)
-  max burchard, makler (isestr. 36)
-  emil cohen, milchhandlung (dillstr. 8)
-  hamburger textil-engros vertrieb, wollwaren-großhandlung (isestr. 115)
-  karl kühl & co, kohle-handlung, isestr. 17
-  w. möller, juwelen, gold und silber (isestr. 49)
-  egon pogorny, großhandel tierische rohprodukte (beneckestr. 50)
-  max schenkolowski, wollwaren (brahmsallee 4)
-  richard schnabel, drogerie (grindelhof 64)
-  isaak tugendhaft, wild- und geflügel (rappstr. 4)



22. HALLERSTRASSE  
die hallers sind eine berühmte familie in hamburg...als familiennamen zur pflicht wurden, wählten die hallers nach dem ort, aus dem sie, aus wien kommend, nach preußen eingewandert wurden...halle an der saale, von wo aus sie dann ins preußische altona übersiedelten.
martin joseph haller ließ seinen sohn 1814 nicht beschneiden und trat kurz darauf zum christlichen glauben über, wurde richter, bankier und gründer einer warenhandelsgesellschaft.
sein sohn nicolaus ferdinand haller studierte jura, wurde 1844 mitglied der hamburgischen bürgerschaft, einer der mitarbeiter an der neuen hamburger verfassung von 1860, finanzsenator und lange 1. oder 2. bürgermeister.
nach IHM wurde die hallerstraße nach seinem tod 1876 benannt und nicht nach seinem bekannteren sohn martin haller, der einer der bekanntesten architekten hamburgs wurde...man kennt vielleicht das "stella-haus", das "slomanhaus", dann die laeiszhalle und als mitbegründer des rathausbaumeisterbundes auch federführend am neubau des hamburger rathauses beteiligt.
1938 wurde die hallerstraße wegen der jüdischen herkunft ihrer namensgeber in ostmarkstraße umbenannt, 1945 zurückbenannt.

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