Samstag, 23. September 2023

DER FISCH

ein kleines resümee 
seit nunmehr fast einem jahr bin ich auf einer reise 
auf einer langen reise durch diverse therapeutische einrichtungen und auch auf einer reise in mein inneres, in meinen kopf...
um meinem problem auf den grund zu kommen - oder präziser formuliert, meinen problemen...
mehrzahl! 
als ich angefangen habe, war mein erster schritt wie bei allen alkoholkranken menschen die entgiftung - das angehen der körperlichen symptome. 
und man hat mir schnell klar gemacht, daß ich an einer chronischen krankheit leide, die niemals ganz weggehen wird.
nun gut, das gilt es zu akzeptieren, was mir sagt, daß ich mit dieser krankheit nun leben und umgehen muss....gegen meine derangierten knie kann ich training betreiben, medikamente nehmen und mich angemessener ernähren.
in all den therapien bringen sie dir bei, welche "medikamente" du gegen deine alkoholsucht nehmen kannst - natürlich gibt es all diese kleinen werkzeuge, die sogenannten skills, was ich aber immer schon ein wenig albern fand.
was soll ich mit chilischoten in der jacke rumlaufen, die ich immer dann herausholen und futtern soll, wenn der kleine suchtdruck kommt. 
irgendwann im laufe meiner reise bin ich dann an therapeuten geraten, die mal tiefer in meinem kopf geschaut haben und versucht haben, den brei darin wieder flüssig zu bekommen, um der frage auf den grund zu gehen, warum ich angefangen habe zu trinken...oder nein - viele menschen trinken alkohol und die meisten davon kommen damit mehr oder weniger gut zurecht, so wie ich ja auch relativ lang (wenn auch schon sehr lange in kritischem maße) 
also präziser formuliert: wann und warum habe ich angefangen, mißbräuchlich zu tinken - was waren die ursachen, was wollte ich mit dem alkohol ertränken? 
gibt ja diese wunderbare plattitüde: "ich wollte meine probleme ertränken, aber ich habe festgestellt, daß die dinger schwimmen können"...wie fische.  
der fisch...
stinkt bekanntermaßen vom kopf - die nächste plattitüde, das macht jetzt schon nen zehner ins phrasenschwein...aber hier steckt doch ein quantum wahrheit drin. 
müßig, darüber zu sinnieren, ob zuerst das ei oder die henne da war, also zuerst die depressiven verstimmungen oder der drang, sie mit alkohol zu bekämpfen - ich denke, die zwei dinge bedingen einander.
mit dem feinen unterschied, daß alkoholismus auch körperliche abhängigkeit schafft - in der endphase meiner krankheit war mir schon vollkommen klar, daß der alkohol nicht zur problemlösung beitragen konnte, da war es zum schluß nur noch der zwang, sich zuschütten zu müssen, um die körperlichen beschwerden zu lindern.
das körperliche habe ich mehr oder weniger erledigt, aber ich weiß, daß das teufelchen stets auf meiner schulter sitzen wird und es wird der moment kommen, da wird es anfangen zu flüstern.
meine aufgabe für den rest meiner zeit wird es also sein, es am flüstern zu hindern, womit wir zu noch einer plattitüde kommen, dem schlagwort von der "zufriedenen abstinenz" - "ich will nicht mit der faust in der tasche herumlaufen, um nicht an alkohol denken zu müssen" 
NEIN, ich denke da mittlerweile anders, nämlich, daß ich mich nicht mit dem problem beschäftigen will, sondern an die lösung denken möchte. 
wenn ich mit meiner zufriedenheit beschäftige, dann lande ich ganz automatisch bei der abstinenz, darum kreisen meine gedanken und dazu lese ich viel.
neulich fragte mich eine therapeutin, welche bücher zum thema sucht ich denn als belesener mensch ich denn schon gelesen hätte und sie war erstaunt, als ich "KEINES" sagte - ich beschäftige mich nicht mit dem thema SUCHT, sondern ich beschäftige mich mit dem thema zufriedenheit und gelassenheit.
das ist mein ziel - und wer immer den satz gesagt hatte "der weg ist das ziel" der redet für mich mit verlaub blödsinn, denn wer zu viel über den weg nachdenkt, vergißt vielleicht das ziel darüber. 
ich hingegen bin inzwischen jederzeit bereit, meinen weg jederzeit zu verlassen, wenn er sich nicht als hilfreich erweisen sollte....sich zu verrennen, schafft frustation - am ende einer sackgasse zu versuchen, die mauer einzureißen, um weiterzukommen, ist energieverschwendung, sinniger ist, vorher umzudrehen und nach einem neuen weg zu suchen, um an der mauer vorbeizukommen.
was mich dazu bringt, mich mit allem möglichen zu beschäftigen, sei es philosophie, religionen oder psychoanalyse und alles letztendlich darauf zu fokussieren, was ich für richtig halte und was mir gut tut.
hört sich jetzt schrecklich egoistisch an, oder? 
ja, isses natürlich, aber ich würde es gesunden oder gesundenden egoismus nennen wollen - ich hatte neulich an einem wundervollen nachmittag einen wundervollen satz von einem wundervollen menschen:
"du bist anders" 
das betrachte ich als kompliment - viel zu lange habe ich versucht, mich anzupassen und zu funktionieren und einer norm zu entsprechen...aber ist doch nicht wichtig, gemocht oder geliebt zu werden - viel wichtiger ist es doch, zu lieben und zu mögen...und zwar in erster linie sich selbst.
denn ich kann nur, denke ich, liebenswert sein, wenn ich mich selbst liebe, nicht in einem narzistischen sinne - nächste phrase: "ich bin so wie ich bin und das ist gut so" - selbstakzeptanz als teil der selbstheilung. 
es gibt keine norm und es gibt auch kein krank oder gesund, außer in einem systemischen denken und viele probleme verschwinden, wenn ich mich aus dem systemischen denken löse...wenn ich mich auf meine heilung konzentriere und nicht versuche, im sinne des systems "gesund" zu werden.
das habe ich inzwischen begriffen, dabei haben mir großartige menschen geholfen und meine letzte großartige entscheidung war es, das praktikum bei der tafel in norderstedt zu absolvieren.
ich werde nie wieder für ein unternehmen oder eine institution arbeiten, dessen oberstes ziel es ist, gewinne zu maximieren.
ich habe mich stets in meiner al-bundy-karriere als dienstleister gesehen, ohne zu begreifen, daß mein begriff davon vollkommen fehl am platz war - die meisten kunden haben dienstleister mit diener verwechselt und die meisten chefs haben zwar beratung gepredigt, aber verkaufen gemeint.
alle unternehmen haben individualität gelobt, aber keines hätte mich mit nasenring eingestellt (was sie wohl auch in zukunft nicht tun werden - einer der gründe, weswegen ich - wieder - einen habe).
meine älteren damen bei der tafel hat das nie interessiert.
6000 eier in zehnerkartons zu portionieren ist jetzt nicht die spannendste tätigkeit, hat aber in ihrer stupidität etwas zen-buddhistisches (meine damen fragen sich immer, warum ich das freiwillig mache) und am ende siehst du zwei ergebnisse.
erstens ist die palette mit eiern leer und zwei stunden später drückst du einem menschen einen zehnerkarton eier in die hand, den die person sich im normalfall sonst wahrscheinlich nicht leisten könnte. 
deswegen helfe ich auch weiterhin bei der tafel, auch wenn ich es nicht mehr muss und werde das auch weiterhin tun, wenn meine reise zu ende ist - meine offizielle reise durch die therapeutischen einrichtungen, denn ich werde am 17. oktober in meine alte wohnung zurück kehren.
was ich ja lange abgelehnt hatte, wovor ich regelrecht panik hatte - ist diese wohnung doch untrennbar mit dem thema alkohol (und dem thema depression verbunden) - ich hatte ja ansich vorgehabt, in eine weitere therapeutische einrichtung zu gehen, aber ich bin müde und merke, daß mich das nicht mehr weiterbringen würde. 
ich denke, alles was therapeuten mir sagen konnten, haben sie mir gesagt und wahrheiten werden durch wiederholung nicht wahrer...und alle therapeuten sagten ja immer, daß sie mir helfen wollen, meinen werkzeugkoffer zu packen, den ich brauche, um meine dämonen im zaume zu halten. 
besiegen werde ich sie nicht, ein schlafliedchen kann ich ihnen singen, daß sie sich zur ruhe begeben und das muß ich irgendwann auch selber tun können müssen. 
eine weitere therapeutische einrichtung hieße für mich, vor dem leben zu kapitulieren und das hatte ich nun schon letztes jahr. 
daß ich das alles nicht alleine schaffen werde, weiß ich selber - die erkenntnis, auf hilfe angewiesen zu sein, ist hart und schwierig, denn wie gesagt, die norm ist gesund und funktionierend...schwierig ist, hilfe, die angeboten wird, anzunehmen, noch schwieriger ist es, um hilfe zu bitten.
auch das ist ja gesellschaftlicher konsens - man fällt niemandem zur last!!
und natürlich hat man keine schwächen...oder zeigt sie zumindest nicht. 
auch das gehört zu einem langen lernprozess, das nicht mehr zu akzeptieren.
ein prozess, der lange noch nicht abgeschlossen ist, auch wenn meine reise durch die therapeutischen einrichtungen sich nun ihrem ende nähert...meine reise in ein anderes neues leben hat vielleicht gerade erst angefangen...
als ich am 26.10.22 in die entgiftung gegangen bin, da hatte ich ganz schnell wieder "gesund" werden wollen, aber ganz schnell begriffen, daß das kein sprint wird, sondern ein ultramarathon und hatte dann für mich angenommen, daß ich das ganze jahr 2023 für meine gesundung nutzen wollte. 
auch wenn ich jetzt "nach hause" gehen werde, habe ich dieses ziel nicht aus den augen verloren, sondern ändere nur den weg - und, ich bin mir sicher, spätestens am 31.12.23 werde ich ein neues ziel ausrufen, nämlich auch 2024 mit dem heilungsprozess weiterzumachen...den fisch am schwimmen zu halten, ohne daß er wieder zu stinken anfängt - und wenn es sein muß, dann auch wie lachse zum laichen flussaufwärts und gegen den strom. 
schlußendlich ist es aber schon an der zeit, ein kleines fazit zu ziehen...ich finde, ich kann auf das, was ich erreicht habe, verdammt stolz sein, wenn ich mich mit dem bernd von vor einem jahr vergleiche, körperlich und geistig - der bernd vor einem jahr hätte vor allem aufgezählt, was er alles NOCH NICHT geschafft hatte...
und anders als der bernd von vor einem jahr blicke ich nicht auf einen weg zurück, den ich als beendet betrachtet hatte, sondern schaue auf einen weg, der vor mir liegt, mit dem gefühl, daß ich lange noch nicht fertig bin...da liegen noch ganz viele dinge vor mir, mit denen ich mein leben bereichern kann und vielleicht nicht nur meines, sondern auch das von anderen menschen.
und ich freu mich drauf. 


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