Samstag, 23. September 2023

ROLLING HOME

ROLLING HOME - MIT DEM TURBO DURCH HAMBURG


“Definieren sie Generationenkonflikt…
wenn sich zwei Kinderwagen und zwei Rollatoren 

um drei Plätze im Bus streiten”


Kleiner Scherz…ist noch nicht so lange her, da fand ich das noch witzig,

das hat sich quasi über Nacht geändert - und das liegt nicht daran,

daß ich etwa als frischgebackener Vater mit dem Kinderwagen

unterwegs bin. 

Ich gebe zu, was ich inzwischen mache, ist Jammern auf ganz hohem

Niveau, weil ich ansich schon wieder relativ beweglich bin, aber vor

knapp einem Jahr war ich noch ganz anders unterwegs. 

Im Juni bin ich ins Krankenhaus gekommen; Psoriasis Arthritis -

Schuppenflechte, die eine Autoimmunreaktion ausgelöst hat, so daß

mein Immunsystem angefangen hat, die Knorpel in meinen

Kniegelenken aufzufressen, dazu vom Alkoholkonsum noch

Polyneuropathie, eine Nervenkrankheit, die die Beine zittrig,

den Gang unsicher macht. 

Im Krankenhaus haben sie mich von Station zu Station geschoben, um

die Ursache für die Infektion herauszufinden, was nicht gelungen ist,

so daß man mich mit reichlich Schmerztabletten und Krücken nach

Hause geschickt hatte. 

Mit der Konsequenz, daß ich wegen der Schmerzen (und wie soll man

mit “Unterarmgehstützen” Treppen herunter klettern?) quasi bis

September meine Wohnung nicht mehr verlassen hatte. 

Inzwischen - erstaunlich, wie schnell das geht - war meine Bein-

muskulatur auf nur noch 60 % geschrumpft und meine Sehnen in der

Wade hatten sich verkürzt - Aufrecht gehen schwer gemacht. 

September zweiter Krankenhausaufenthalt, da war dann Gehen
quasi nicht mehr möglich; ich war auf einen Rollstuhl angewiesen.
Nun hatte ich leider grad keinen zur Hand - das Krankenhaus zuerst

auch nicht…wenn ich vor die Tür wollte, eine rauchen, dann bin ich
auf einem Toilettenstuhl nach unten gerollt.
Ziemlich entwürdigend. 

Nach 10 Tagen hatten sie dann endlich einen alten im Keller aufgetrieben. 

Ist jemandem schon mal aufgefallen, daß viele Wege gewölbt sind? 

Von der Mitte zu den Seiten hin abfallend - macht Sinn, daß Regenwasser

besser abfließen kann, für Rollifahrer die Hölle, weil der Stuhl andauernd

zur Seite rollen will und man andauernd gegensteuern muß. 

Next Exit Entgiftung Alsterdorf…schön, daß viele therapeutische

Anwendungen in anderen Gebäuden stattfinden, bei den sieben Zwergen,

hinter den sieben Bergen…hätten mich nicht freundliche Mitpatienten

gehabt, die mich geschoben haben, hätt ich das nicht gepackt, an

manchen Sachen teilzunehmen. 

Bald war ich durch geduldiges Training so weit, daß ich schon kurze

Strecken mit Rollator geschafft habe - DAS! (Prognose der Ärzte)

wird deine Fortbewegungshilfe für längere Zeit sein.
Nun gibt es bei Rollatoren ja auch die verschiedensten Ausführungen. 

Die Variante, die mich begleitet hatte, war logischerweise das Modell

“Kasse”, 12 kg schwer, nicht faltbar…kurz mal nachgedacht, wie das

denn in Zukunft aussehen soll:

In meine Wohnung im zweiten Stock mitnehmen…grober Unfug…i

m Flur stehen lassen und mit zwei dort abgestellten Kinderwagen

konkurrieren, wird auch nicht funktionieren, kommt denn gar keiner

mehr durch. 

Also, einen faltbaren und leichteren - das bezuschussen die

Krankenkassen mit immerhin 50 €; zur Einordnung, dafür bekommt

man ungefähr die vier Räder einer vernünftigen Ausführung. 

Mit meinem neuen Spaßmobil Modell TURBO begann ich also ab

September letzten Jahres die Welt zu errollen.

Wie gesagt, was ich mache, ist jammern auf hohem Niveau, aber ich

versuche mir in manchen Situationen halt vorzustellen, ich wäre ein

Omchen oder ein Rollifahrer.

Ich könnte jetzt mit der Qualität der Bürgersteige anfangen, so denn

überhaupt vorhanden - in Jenfeld z.B. sind vielfach links und rechts der

Straßen Kieswege für Fußganger. 

Besonders nach einem gesunden Landregen konnte ich feststellen,

daß mein Turbo nicht geländegängig ist… und auch nicht schwimmfähig. 

Aber auch ansonsten ist das, was unsere Stadt Fußgängern in manchen

Gegenden zumutet, eine ziemliche Frechheit, was die “Plattentektonik”

anbelangt.

Reden wir auch davon, Straßen zu überqueren - wofür man erstmal

eine Auffahrt oder eine abgesenkte Stelle finden muß und die muß

natürlich auch noch nicht zugeparkt sein. 

Nunja, als Stadtplaner viele Straßen in Wohngegenden angelegt hatten,

da hatte vielleicht jeder zwanzigste

Bewohner n Auto und da waren auch

noch viele Käfer dabei und nicht wie

heute, wo zur schicken Altbauwohnung

oder dem schnieken Eigenheim auch

noch ein geländetaugliches

Panzerfahrzeug gehört, das längs

geparkt die Abgänge verstopft oder

quer den ohnehin schon schmalen

miserablen Fußweg um die Hälfte

in der Breite schmälert. 

Wie nahe darf man an einer Kreuzung

parken?
Es gibt Ecken in Hamburg, die

sind für Rollifahrer quasi unbewohnbar,

weil es nahezu unmöglich ist, vernünftig von a nach b zu kommen und

jede Form von Straßen- oder Rohrbauarbeiten erschwert das Leben

in den anderen Gegenden noch zusätzlich.

Okay, machen wir weiter…mein größtes Problem ist, wegen meiner

verkürzten Muskulatur noch immer das Treppensteigen; die wenigsten

Busfahrer senken an der Haltestelle ihren Bus ab, daß man als Rollatori

da vernünftig hineinkommt und ist man erstmal drinne, geht es weiter

mit den Problemen.

Der Rollatoren-Kinderwagen-Raum in der Mitte nebst der Notbank

erfreut sich generell allergrößter Beliebtheit bei Jugendlichen, die zumeist

erstmal mit vollkommen unverständigen Blicken reagieren, wenn man

in sein Eckchen rollen will. 

So ganz nebenbei frage ich auch, warum Menschen ihr Fahrrad (so es

keinen Platten hat) im Bus transportieren…um dann im Büro mit

ihrem Umweltbewußtsein angeben zu können?

Ach ja, wenn man im vorderen Teil eines Gelenkbusses einsteigt und da

ist es voll und man will nach hinten durchgehen - der Gang über den Achsen

ist zu schmal, kommt man mit einem unfaltbaren Rollator nicht durch, ebenso

wenig wie man in der U-Bahn einen Platz erreichen kann, der nicht direkt an

der Tür ist. 

Über das Thema Barrierefreiheit und HVV will ich nur wenig schreiben,

sonst komme ich noch in Rage - okay, es ist schon viel besser geworden,

was die Versorgung mit Fahrstühlen anbelangt. 

Setzt natürlich voraus, daß die Dinger funktionieren, denn gerade an der U1

gibt es keine Alternative, weil es an vielen Haltestellen - wenn der Fahrstuhl

mal nicht funktioniert - keine Rolltreppen gibt oder allerhöchstens eine in eine Richtung.
Stolz wirbt der HVV damit, daß nun endlich auch Hutwalckerstraße geliftet ist

…bloß fahren tut der nigelnagelneue Fahrstuhl nicht. 

Wartung und Reparatur von so einem U-Bahn-Lift dauert im

Schnitt etwa drei Monate, wie ich die Erfahrung gemacht habe. 

Seit ich mit meinem Turbo unterwegs bin, achte ich natürlich auf sowas,

und wenn ich eine kompliziertere Tour vor mir habe, schau ich mir auch jedes

Mal vorher die HVV-Seite an, ob denn alle Fahrstühle auf meiner Route funktionieren, um keine bösen Überraschungen zu erleben. 

Gut, wenn natürlich wieder mal irgendwelche Deppen über Nacht

einen Lift kaputt gespielt haben, was gerne von Sonnabend auf Sonntag

passiert (S-Bahn Hasselbrook ist da sehr gern genommen), kann natürlich

auch die Homepage häufig nicht schnell genug sein.

Was ich noch nicht probiert habe ist, wie es denn mit diversen

kulturellen Einrichtungen aussieht; ich hatte da bisher nur eine

Erfahrung mit dem Museum für Hamburgische Geschichte. 

Um in die Sonderausstellung zu gelangen,. muß man mehrere

Zwischenebenen überwinden und mehrere Türen öffnen - Türen,

die nach außen aufgehen, was mit Rollator schwierig, mit Rollstuhl

ohne Begleitung unmöglich ist.
Man ist also auf die Hilfe des Personals angewiesen, ebenso wie bei

den Zwischenebenen, für die es Hebebühnen gibt.
DA stand ich also, weit und breit niemand zu sehen…nach zehn Minuten

kam denn ein Angestellter und fragte, was ich denn wollte. 

(HM…warum stehe ich vor dieser Hebebühne?)

Nachdem ich ihm mitgeteilt hatte,was denn mein Begehr sei, entschwand

er, kam nach zehn Minuten wieder.
“ich hab den Schlüssel nicht…den hat eine Kollegin”
Also auf die Kollegin warten, die denn nach weiteren zehn Minuten eintraf,

nur um uns mitzuteilen, daß sie den Schlüssel auch nicht hat, den hätte

nämlich noch eine andere Kollegin.
Ich hab denn mal vorsichtig nachgefragt, ob es denn möglich wäre, die

Kollegin irgendwie zu kontaktieren, um an den Schlüssel zu kommen. 

“Nee, die ist gerade zur Pause”
Also noch ein Viertelstündchen warten, bis denn die Kollegin erschien

und mit einigem Widerwillen, weil sie sich so gehetzt fühlte, die

Hebebühne bediente, um mich herabzulassen. 

So viel denn zum Thema herablassende Behandlung. 

Ich nach diesen Erfahrungen doch ziemlich froh, daß ich mittlerweile

vieles ohne meinen Turbo schaffe - das dreiviertel Jahr hat mich auf jeden

Fall viel Demut gelehrt und ich sehe vieles, was mit dem Thema Mobilität zusammenhängt, inzwischen mit

vollkommen anderen Augen, wie viel schwerer das, was mir schon

schwer fiel bis teilweise unmöglich war, für Menschen sein muß,

die noch weiter in ihrer Beweglichkeit

eingeschränkt sind als ich es war. 

Ich will nicht verhehlen, daß einiges  schon besser geworden ist,

aber dennoch, da ist noch vieles an Luft nach oben. 



                                                                        Bernd C. 

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