Dienstag, 12. Juni 2012

NIEDERLANDE



FIFA-Weltrangliste
4.
UEFA-Koeffizient (Platz)
9.
EM-Titel
1988
EM-Teilnahmen bisher
1976 / 1980 / 1988 / 1992 / 1996 / 2000 / 2004 / 2008
EM-Qualifikation
Sieger der Gruppe E
Rekordspieler
Edwin van der Sar (130)
Rekordtorschütze
Patrick Kluivert (40)
EM-Bilanz gg GER
1980:  2:3 (Vorrunde)
1988:  2:1 (Halbfinale)
1992:  3:1 (Vorrunde)
2004:  1:1 (Vorrunde)

Die Niederlande sind ein eigenartiges kleines Land.
Wenn es keine Deiche gäbe, könnte man dort nicht wohnen; wenn es keine Gewächshäuser gäbe, könnte man dort keine Tomaten und Tulpen anbauen.
Die Niederlande sind eines der am dichtesten bevölkerten Länder der Welt, was vielleicht dazu führt, daß jeden Sommer mehrere Millionen von ihnen mit mobilen Heimen (vulgo auch Wohnwagen genannt) dem Land entfliehen, um woanders Urlaub zu machen und daß sich der Niederländer exzellent durch Massen hindurchschlängeln kann, also im Fußball einen exorbitanten Dribbler abgibt.
Seit Beginn jener Zeiten, als Fußball in den Niederlanden populär wurde, galt zunächst Belgien, der 1830 verloren gegangene Teil des Landes, als Erzrivale.
Das sollte sich später ändern und die Deutschen sollten diesen Platz übernehmen, nachdem sie im ersten wie im zweiten Weltkrieg ihren kleinen Nachbarn überrannt hatten und, vor allem, der vielleicht besten niederländischen Mannschaft aller Zeiten den WM Titelgewinn 1974 versaut hatten.
Zweimal hatten die Niederländer das Achtelfinale einer WM erreicht (1934 und 1938), waren auch bei Olympia relativ erfolgreich gewesen, danach begann eine lange Durststrecke bis 1974.
Dann nämlich erfanden die Niederländer „Totaalvoetbal“.
Nein, taten sie natürlich nicht – die Anfangsjahre der Nationalmannschaft waren geprägt von ausländischen Nationaltrainern, vornehmlich Engländern und Österreichern, von 1966 bis 1970 auch von dem Deutschen Georg Kessler.
Als Erfinder des totalen Fußballs gilt Jack Reynolds, Trainer bei Ajax Amsterdam von 1915 bis 1949 – die Idee dahinter: bei Ballbesitz greifen alle Spieler an, bei Ballverlust verteidigen alle; im Angriff gilt es, die Räume weit zu machen und in der Verteidigung gilt es, sie für den Gegner eng zu machen. Das setzt ein hohes Maß an Spielintelligenz voraus; ein Stürmer muß Verteidiger spielen können und ein Stürmer Verteidiger. Nicht zuletzt galten auch Jongbloed und Van der Sar, die zwei größten Torhüter der Niederlande, als hervorragende Fußballer.
Zur Perfektion gelangte das System unter Rinus Michels, Trainer bei Ajax bis 1971 und Bondscoach bei der WM 1974, der selber noch unter Reynolds gespielt und von ihm dieses System gelernt hatte. Von 1970 bis 1974 hatten mit Feyenoord und Ajax vier mal in Folge niederländische Vereine den Europapokal der Landesmeister gewonnen und für alle galt die Elftal, spätestens nach dem 2:0 über Brasilien als beste Mannschaft der Welt und haushoher Titelfavorit, bis die Deutschen ihnen dann in München den Titel wegschnappten. Ein Drama – in jedem anderen Land der Welt wären wahrscheinlich die Niederländer Weltmeister geworden – und nichts kann diese Schmach tilgen.
Als zweitliebster Hassgegner etablierte sich im Übrigen Argentinien, nachdem der Elftal 1978 genau das gleiche widerfuhr; wieder wurden sie als klarer Favorit von einem Gastgeberland in einem WM-Finale geschlagen und auch hier hieß es hinterher, daß in jedem anderen Land der Welt die Niederlande das Finale gewonnen hätten.
So sehr das System des Totalvoetball Intelligenz, Kreativität und Individualität voraussetzt, so sehr mag es erstaunen, daß der Vater des Erfolges – Rinus Michels – alles andere als ein Feingeist war, sondern eher ein sadistischer Schleifer, der seine Spieler erniedrigte und beleidigte; er ließ sie laufen bis zum Umfallen und Turnen bis zur Erschöpfung grad wie Gunnery Sergeant Hartmann in „Full Metal Jacket“.
Jetzt könnte man sagen: die, die die Ausbildung überstanden, überlebten auch Vietnam.
Denn seit 1974 galten die Niederlande, bei welchem Turnier sie auch immer antraten, zumindest als Mitfavorit, doch ihren einzigen Titel holte die Elftal unter dem General.
Als kleine Revanche..…wieder war der Gastgeber Deutschland, 1988.
Kern der Mannschaft war diesmal die Mannschaft des PSV Eindhoven für die Defensive, die Helden waren jedoch Legionäre: Marco van Basten, der mit 5 Toren Torschützenkönig werden sollte vom AC Milan, sein Mannschaftskamerad Ruud Gullit und der Defensivmann Frank Rijkaard, damals noch bei Saragossa unter Vertrag.
Mit Gullit, Rijkaard und Aaron Winter standen erstmals drei dunkelhäutige Spieler, die ihre Wurzeln in der niederländischen Kolonie Surinam hatten, im Kader der Niederländer für ein großes Turnier.
Den großen Nachbarn erwischte man diesmal im Halbfinale in Hamburg, ohnehin kein gutes Pflaster für die deutsche Nationalmannschaft. Das Spiel verlief quasi genauso wie das Finale von 1974, nur umgedreht:
Damals: 1. HZ 1:0 NED Elfmeter – 1:1 GER Elfmeter – 1:2 GER – 2. HZ torlos...1988 blieb die erste Halbzeit torlos, dann gingen die Deutschen durch einen Elfmeter in Führung, die Koeman ebenfalls durch Elfmeter ausglich. Kohler hatte Van Basten gefoult, den er nie wirklich in den Griff bekam und der dann in der 88. Minute auch den Siegtreffer für die Niederlande markierte...über die Aktion von Ronald Koeman, der sich zum Zeichen der Genugtuung nach dem Spiel mit dem Trikot von Olaf Thon symbolisch den Arsch abwischte, hüllen wir mal den Mantel des Schweigens, auch wenn es eine der unschönsten Jubelgesten des modernen Fußballs war.  Koeman zeigte später auch so was wie Reue (de facto, so wie ich den Mann einschätze, hat der allerdings noch heute spezielles Olaf-Thon-Trikot-Toilettenpapier zu Hause).
Die Niederländer revanchierten sich im Finale für die 0:1 Auftaktniederlage im Gruppenspiel gegen die Sowjetunion und alle waren sich letztendlich einig, daß auch die beste Mannschaft des Turniers im Finale gesiegt hatte.
Die Herren Van Basten, Gullit und Rijkaard wurden im Übrigen in dieser Reihenfolge Europas Fußballer des Jahres 1988 – den niederländischen Titel gewann bezeichnenderweise Ronald Koeman, der Arschabwischer (nein, 1990 gewann nicht Frank Rijkaard, der Völler-Bespucker).
Mit den 90ern kam eine neue Fußball-Generation in den Niederlanden auf, Louis van Gaal hatte die alte Ajax-Schule neu belebt und scheinbar schien man zu den alten Tugenden zurückzukehren: Intelligenz, Kreativität und Individualismus, die den totalen Fußball auszeichneten.
Schön spielen konnten die Niederländer seit 1988 immer und semi-erfolgreich auch.
Was fehlte, war ein General: muß ja kein Schleifer wie Rinus Michels sein, aber alle Nationaltrainer, die ihm folgten, hatten gerade mit den geforderten Tugenden der Spieler ihre Probleme.
Nachdem immer Spieler mit ausländischen Wurzeln, vor allem aus Surinam, zu Spitzenspielern wurden und in der Elftal auftauchten, begann ab 1996 eine Rassismus-Debatte...damals stellten mit Reizinger, Bogarde, Taument, Winter, Davids, Seedorf und Kluivert dunkelhäutige Spieler den Kern der Nationalmannschaft und sollten sich nach der EM immer wieder beschweren, ihnen würden immer wieder „weiße Spieler vorgezogen“. Umgekehrt wurden die Surinamesen immer wieder in der niederländischen Presse dafür kritisiert, daß sie zwar für ihre Vereine Höchstleistungen erbringen würden, in der Nationalmannschaft hingegen regelmäßig versagen würden.
Das Lama, Frank Rijkaard, ist bislang der einzige Spieler aus der surinamesischen Connection, der es auch zum Bondscoach brachte. Er übernahm das Amt 1998 von Guus Hiddink, nachdem der bei der WM 1998 „nur Vierter“ geworden war und während seiner Amtszeit einer der Verursacher der Rassismus-Vorwürfe gewesen war.
Unter Rijkaard erlebte Patrick Kluivert, ebenfalls mit Wurzeln in Surinam, vielleicht seine beste Phase in der Elftal; beim 6:1 im Viertelfinale gegen Jugoslawien bei der EM 2000 traf er alleine drei Mal und war auch der einzige Niederländer, der im Elfmeterschießen im Halbfinale gegen Italien traf (nachdem er zuvor im Spiel allerdings per Strafstoß am Innenpfosten gescheitert war...vorher war schon Frank de Boer im Spiel per Strafstoß gescheitert – der sollte im Elfmeterschießen wieder scheitern, ebenso wie Bosvelt und Stam....allesamt „Weiße“)
Da Rijkaard vor dem Turnier erklärt hatte, ihn interessiere nur der Titel, trat er logischerweise nach dem Turnier zurück... Bondscoach ist ohnehin eine Aufgabe mit relativ geringem Haltbarkeitsdatum; seit der dritten Demission von Rinus Michels im Juni 1992 gab es insgesamt in zwanzig Jahren neun Nachfolger, wobei Guus Hiddink und Dick Advocaat das Amt insgesamt zweimal inne hatten und die letzten zwei Trainer seit insgesamt zusammen acht Jahren amtieren.
Der große Hoffnungsträger war zunächst Stürmerikone Marco van Basten, der 2004 das Amt übernahm und als erstes die Störenfriede Seedorf, Davids und Kluivert aus der Surinam Fraktion aussortierte. 2006 bei der WM war jedoch schon im Achtelfinale Schluß für die Elftal – und schon vor der EM 2008 kündigte van Basten an, er werde nach dem Turnier aufhören; sei Nachfolger wurde Bert van Marwijk, der 2004 bis 2006 auch mal Borussia Dortmund gecoacht hatte.
Unter ihm errang die Mannschaft immerhin den Vizeweltmeistertitel 2010, wiederum zeichnete sich die Mannschaft vor allem durch individuelle Klasse aus.
Wiederum könnte allerdings diese Individualität den Niederländern zum Verhängnis werden: unter van Basten beschwerte sich van Nistelrooy, daß er nicht zu den ihm zustehenden Einsätzen kommen würde und auch jetzt schon seit längeren meckert eine Fraktion um van der Vaart und Huntelaar, der Trainer hätte seine Lieblinge und würde nicht nach Leistung aufstellen.
Nach der Auftaktniederlage gegen die Dänen hat van Marwijk ja nun die Chance, seinen Kritikern zu widersprechen und befindet sich damit im üblichen Dilemma aller niederländischen Bonscoaches...ändert er nichts an seiner Aufstellung und gewinnt gegen den großen Nachbarn, hat er alles richtig gemacht und wird zum Nationalhelden.
Ändert er seine Aufstellung und die Niederlande gewinnen gegen Deutschland, wird er ebenfalls zum Nationalhelden, aber seine Autorität ist angekratzt und spätestens bei der nächsten großen Niederlage ist er wahrscheinlich weg.
Verliert er gegen Deutschland und die Niederlande scheiden nach der Vorrunde aus bei dieser EM, kann er sich wahrscheinlich, egal ob er seine Aufstellung ändert oder nicht, wahrscheinlich einen neuen Job suchen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen